Die Kathedrale der Ketzerin
vorn auf einen Pfad
gelangt; seltsam, wie sich manche Kreatur für den Abgrund entscheidet! Trink
noch etwas.«
Wieder bin ich schuld am Tod eines Lebewesens, schoss es Clara durch
den Kopf. Immer, wenn ich mich allein auf den Weg begebe, geschieht ein Unglück.
Wie recht doch meine Leute haben, die immer mindestens zu zweit des Weges
gehen.
»Wo bin ich?«, fragte sie krächzend.
»Auf einem Hof, zu dem ebendieser Pfad führt«, erklärte Theobald.
»Dein Pferd ist auf einem Felsen aufgekommen; du hattest mehr Glück, bist in
einem Gebüsch gelandet, auch wenn dein linkes Bein gebrochen sein könnte. Wir
haben es noch nicht genau untersucht, wollten erst warten, bis du wieder zu dir
kommst. Spürst du da etwas?«
»Schmerzen«, sagte Clara. Räuspernd setzte sie sich auf. Sie schob
das Schaffell zur Seite, ihre dunkle Tunika hoch und befühlte ohne jegliche
Scheu vor dem Mann neben sich die nackte Wade und den Knöchel.
»Nicht gebrochen«, sagte sie erleichtert. »Verstaucht.«
»Was machen wir da?«, fragte Theobald ratlos.
»Zwiebeln«, wies ihn Clara an. »Lass Zwiebeln aufschneiden, und gib
mir etwas Linnen. Damit kann ich mir einen Umschlag machen, damit die
Schwellung abklingt.«
Theobald stand auf. »Nebenan sind Frauen, die dir dabei helfen
können«, sagte er, beugte sich vor und streichelte ihr unbeholfen über den
Kopf. »Ich bin so froh, dass du lebst und es dir einigermaßen gut geht. Blanka
hätte mich gevierteilt, wenn dir etwas zugestoßen wäre.«
Blanka, dachte Clara verärgert, immer wieder Blanka! Wer hat sich
denn den Fuß verstaucht?
Ihr Unmut verschwand, als eine Frau in mittleren Jahren den
Verschlag betrat. Sie trug ein ähnliches schwarzes Kleid wie jenes, das Blanka
an Clara so oft beklagt hatte.
»Gute Christin«, murmelte Clara, »gib mir deinen Segen …«
»Ruhig«, zischte die Frau. »Es sind Männer des Königs nahe. Und ich
bin keine …«
Sie brach ab.
»Perfecta«, murmelte Clara enttäuscht.
Die Frau setzte sich an ihr Bett.
»Schwester«, flüsterte sie, »wie kommst du an diese Gesellschaft?«
Das hätte ihr Clara bei bestem Gewissen nicht beantworten können.
Auf die besorgt geflüsterte Frage der Frau: »Führen dich diese Männer etwa
ihrer sogenannten irdischen Gerechtigkeit zu?«, schüttelte sie heftig den
Kopf, legte, glücklich, endlich wieder bei ihren Leuten sein zu
können, den Arm um die Frau und begann aus vollem Herzen zu weinen.
Zwischen Schluchzern brachte sie hervor, die Schwester des Grafen
von Toulouse zu sein. Als die Frau daraufhin ihre Hand mit Küssen bedecken
wollte, zog sie ihre Finger erschrocken zurück.
»Wir sind auf dem Weg zu meinem Bruder Raimund, denn das Elend soll
ein Ende haben«, sagte sie und setzte rasch hinzu: »Diese Männer des Königs
werden euch nichts antun, denn sie wünschen den Frieden.«
Wenn ich es ausspreche, ist es vielleicht tatsächlich so, dachte sie
voller Verzweiflung. Theobald war soeben doch wirklich um mich bemüht! Wäre
er mir böse gesinnt, hätte er mich neben meinem toten Pferd einfach liegen
lassen und weiterreiten können. Meine Eigenmächtigkeit kostet ihn jetzt
mindestens einen Tag!
»Und der Ritter, der uns zum Zwiebelschneiden aufforderte, ist dein
Mann?«, fragte die Katharerin.
Clara nickte unglücklich. Theobald hatte an ihrem Bett gesessen. Was
sollte sie da sagen?
»Dann ist ja noch nicht alles verloren«, bemerkte die Frau. »Seine
Männer schlafen in der Scheune, dort, wo sonst die Unseren lagern.«
»Es geht nicht an, dass wir euch die Schlafstellen rauben«, sagte
Clara leise. »Die Nächte sind noch sehr kalt.«
»Es gibt eine Höhle im Wald.« Die Frau zögerte. »Die Scheune ist geräumig.
Können wir es wagen, unsere Leute zurückzuholen?«
Clara schluckte die erneut aufsteigenden Tränen hinunter und
schüttelte den Kopf.
»Lieber nicht. Mein Mann …«, sie presste das so anheimelnd klingende
Wort hervor, »… ist einsichtig, doch seiner Leute bin ich mir nicht ganz so
sicher.« Felizian, dachte sie, du hattest dich auf mein Wort verlassen.
Abrupt stand die Frau auf.
»Ich auch nicht. Nach allem, was wir erlebt haben«, sagte sie
scharf. »Ich schicke deinen Mann wieder zu dir. Mit den Zwiebeln und dem
Linnen.«
Theobald trat ein und reichte Clara das Gewünschte. Als er sich
wieder zurückziehen wollte, hielt sie ihn auf. Schließlich sollte er wissen,
dass sie sich als seine Frau ausgegeben hatte.
»Bleib«, sagte sie. »Ich muss dir etwas
Weitere Kostenlose Bücher