Die Kathedrale der Ketzerin
Mutter als Blanka. Und deine Tochter braucht eine Mutter.«
»Eine Französin!«
»Aus Kastilien«, setzte Clara hinzu. »Und Alfons ist ein
liebenswerter Knabe. Genauso alt wie Johanna. Die beiden werden zusammen
aufwachsen wie Blanka und Ludwig. Johanna wird sogar eine Großmutter haben,
Königin Ingeborg, eine richtige Familie. Es wird deiner Tochter am
französischen Hof gut ergehen, darum ist mir nicht bange. Denke nicht nur an
die Freude deines Tages, Raimund, an die Sonne deines Lebens und die Hoffnung
deines Alters. Denke an die Zukunft deiner Tochter. Was hast du ihr hier in
Toulouse noch zu bieten? Ich könnte sie natürlich mit auf den Montségur
nehmen. Aber ich würde euch lieber auf eurer Reise begleiten.«
Um Abschied zu nehmen, dachte Clara. Endgültigen Abschied von ihrem
alten Leben. Sie hatte sich in den vergangenen Wochen oft und ausführlich mit
Alexander beraten. Gemeinsam waren sie zu der Einsicht gelangt, das katharische
Leben künftig im Verborgenen führen zu müssen, um es einer Nachwelt zu erhalten
und gemeinsam an der Erlösung aller Seelen zu arbeiten. Gewiss, ein
hoffnungsloses Unterfangen, was aber noch längst kein Grund war, die
Streitbereitschaft aufzugeben und Luzifer den Kampf nicht anzusagen. Die von
Satan verordnete Ohnmacht des Menschen musste gebrochen, die schwache,
todgeweihte Körperlichkeit überwunden und das den Seelen zustehende Himmelreich
zurückerobert werden. Irgendjemand musste damit schließlich einmal anfangen;
warum nicht sie und Alexander? Sie wusste, dass sie für Alexander das Weib
war, mit dem er sich eins fühlte, ohne es fleischlich zu begehren; und sie
erkannte Alexander als Gesandten Felizians, der sie gemahnte, ihrem Leben
endlich die Richtung zu geben, die sie schon seit Langem angestrebt, doch der
Umstände halber immer wieder aufgegeben hatte. Jetzt war sie willens und
bereit, Perfecta zu werden – doch erst musste sie ihre Nichte bei Blanka
abliefern – und sich selbst der eigenen Vergangenheit stellen. Erst dann würde
sie wahrlich Buße tun können.
»Auf den Montségur mitnehmen!«, ging Raimund jetzt empört auf ihre
dahingeworfene Bemerkung ein. »Was fällt dir ein! Johanna kommt mir ohnehin
schon mit viel zu vielen ketzerischen Äußerungen!«
»Denen sie am Königshof keinesfalls ausgesetzt sein wird«, bemerkte
Clara.
Ein durchaus bedenkenswerter Grund. Raimund entsann sich des
liebenswürdigen Briefes, den Blanka ihm durch den Grafen von Champagne hatte
schicken lassen und dessen Warmherzigkeit ihn tief bewegt hatte. Er dachte
daran, wie sein Vater Clara im gleichen Alter an den königlichen Hof geschickt
hatte. Das Kind brauche weiblichen Umgang, hatte der alte Graf damals gesagt,
eine angemessene Ausbildung und die Möglichkeit, einen passenden Ehemann zu
treffen. Letzteres Ziel war bei Clara zwar gründlich verfehlt worden; im Falle
Johannas jedoch gesichert und Voraussetzung für den Aufenthalt am königlichen
Hof. Eine bessere Ausbildung als dort würde seine Tochter jetzt, da sie der
Lehren Alexanders entbehren musste, nirgendwo erhalten können, einen besseren
Schutz auch nicht. Letztlich gab der Gedanke an sein eigenes ungewisses
Schicksal den Ausschlag. Sollte er – aus welchen Gründen auch immer – nicht aus
dem Norden zurückkehren können, wäre Johanna ganz auf sich allein gestellt und
könnte zum Spielball der Mächtigen werden. Davor musste er sie schützen.
»Macht euch reisefertig«, gebot er Clara.
Alexander war entsetzt über Claras Entschlossenheit, Johanna zu
begleiten. Inzwischen kannte er ihre ganze Geschichte.
»Du wirst zurückstürzen«, flüsterte er, »wenn die Königin dich
wieder in ihren Fängen hat, wirst du für uns verloren gehen. Wie oft hat sie
dich von deinem Weg abgebracht?«
»Sehr oft«, gab Clara zu, »und immer geschah es aus Liebe. Lange
Zeit war Blanka der wichtigste Mensch in meinem Leben. Sie hat mir Halt
gegeben. Ganz gleich, was ich getan hatte, wer ich geworden war; sie hat mich
immer bedingungslos geliebt und sich um mich gesorgt. Sie hat sich selbst
Gefahren ausgesetzt, nur um mich zu retten. Sie hat mir das Zuhause geboten,
das jetzt auf Johanna wartet …«
»Johanna ist ein Pfand!«, warf Alexander empört ein.
»Wohl wahr. Aber es wird ihr bei Blanka gut ergehen.«
Januar 1229
B lanka war stolz auf ihren Sohn. Ach, hätte sein Vater
nur sehen können, mit welch edlem Gleichmut er die Barone begrüßt, die fast
allesamt nur zwei Ritter mitgebracht haben.
Nur zwei
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