Die Kathedrale der Ketzerin
Raimund Blankas Brüste liebkoste, von ihren Lippen trank und sein
Geschlecht zwischen bereitwillig geöffneten Schenkeln in die Scham der Frau
trieb, der er, Theobald, diese Freiheit, diese unglaubliche Frechheit erst
ermöglicht hatte! Mit dem Blut König Ludwigs hatte er den Boden bereitet, und
jetzt betrog ihn Graf Raimund um die Ernte. So wie er sich in seinen früheren
nächtlichen Phantasien in König Ludwig verwandelt hatte, der die Königin
leidenschaftlich umarmte, so wurde er in dieser Nacht zu Graf Raimund von
Toulouse und fand darin karge Befriedigung.
Nachdem sich die Tür hinter Theobald und den anderen
Würdenträgern geschlossen hatte, murmelte Raimund selbstvergessen: »Nur eine
Nacht!«
»Die uns niemand nehmen kann!«, antwortete Blanka. Sie hob ihm
ihren Mund entgegen, bevor sie auf dem kalten Steinfußboden ineinander
versanken und nur noch füreinander da waren. Kein Wort, keine Geste, kein
Gedanke trübte die Innigkeit. Wie losgelöst von der Welt schien in beider Geist
eine göttliche Leere einzuziehen, die beide Körper so miteinander verschmelzen
ließ, dass sie wahrhaft nichts oder eins wurden.
Nach einer kleinen Ewigkeit erhoben sie sich schweigend, richteten
flüchtig die Kleidung und gingen nebeneinander her zu Blankas privaten
Gemächern. Die Bediensteten, an denen sie vorbeischritten, sanken tiefer als
sonst auf die Knie und beugten die Häupter bis zum Boden. Erhabener denn je
erschien ihnen die Königin, würdig der Mann an ihrer Seite.
Blanka selbst vermeinte zu schweben. Erst jetzt gestand sie sich die
Einsamkeit der vergangenen Jahre ein, die sie niedergedrückt und ihren Gang
beschwert hatte und die jetzt gänzlich aus ihr herausgeflossen zu sein schien.
Hinter ihnen schloss sich die Tür ihres Schlafgemachs, aber Blanka steuerte
nicht auf das Bett zu. Sie griff Raimund an der Hand und führte ihn zu einer
mit Polstern bedeckten Bank.
»Lass uns reden«, bat sie, als sie ihn neben sich zog. »Nicht über
den Vertrag oder über Politik. Ich möchte alles von dir wissen, Raimund.«
»Wirst du mir auch alles über dich erzählen?«, fragte Raimund.
»Alles«, versicherte Blanka.
Was ihm in dieser Nacht Frankreichs Königin anvertraute, war weit
mehr als ihr Gemahl Ludwig der Löwe je von seiner geliebten Frau erfahren
hatte. Raimund bedurfte der Schonung nicht; ihm konnte sie von den Häretikerinnen
erzählen, die ihren Sohn Karl gerettet hatten, sogar von der weisen Frau, zu
der sie vor der offiziellen Genehmigung zum Beischlaf mit ihrem Mann gegangen
war, um die Blutung herbeizuführen.
»Gott hat mich dafür mit zahlreichen Fehlgeburten bestraft«,
flüsterte sie unter Tränen. Raimund zog sie an seine Brust und schüttelte den
Kopf.
»Nein, Blanka«, sagte er beschwichtigend, »das war eher das Werk des
Teufels. Gott ist ein liebender Vater, der seine Kinder nicht grausam
bestraft.«
Wie in einer Lebensbeichte öffnete ihm Blanka ihr Herz und reinigte
ihr Gewissen. Sie ließ nichts aus. Nicht, wie sie Theobald beauftragt hatte,
Clara zu retten. Nicht, wie sie als einfache Pilgerin nach Rom gereist war, um
von ihrem Gelübde befreit zu werden.
Raimund, der seine eigene Geschichte schnell erzählt hatte, lauschte
erschüttert. Wie viele Qualen hatten dieses Herz belastet, wie viele Bürden
diese zarten Schultern niedergedrückt, wie viele Sorgen diese weiße Stirn
gerunzelt!
Als Blanka endlich schwieg, erhob er sich. Er fiel vor ihr auf die
Knie und barg sein Gesicht in ihrem Schoß.
»Nie wieder sollst du einsam sein«, sprach er in den Stoff ihres
Rockes hinein. Er richtete sich auf, hob die Königin von der Bank und trug sie
zu ihrem Bett.
»Eine solche Nacht«, flüsterte Blanka, als der Morgen
graute, »ist ein ganzes Leben wert!«
Sie blickte zu der schmalen tiefen Fensteröffnung ihres Gemachs,
durch die sich bereits erste Strahlen einer blassen Wintersonne gestohlen
hatten.
Raimund stützte einen Ellenbogen auf, strich Blanka ein paar
melierte Haarsträhnen aus dem Gesicht und erwiderte: »Unser ganzes Leben,
geliebte Frau, steht im Dienste anderer und wird durch andere bestimmt. Durch
die, für die wir Verantwortung tragen und durch die, die uns nachfolgen, auch
wenn wir sie nicht kennen, aber denen wir einen Boden bereiten müssen, auf dem
sie ungefährdet ausschreiten können.«
Blanka schüttelte den Kopf.
»Wir sind keine Götter, Raimund, mein Geliebter«, erwiderte sie
leise, »wir sind Sterbliche auf der Suche nach Glück. Solches hatte ich
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