Die Kathedrale der Ketzerin
brennen?«, fauchte Clara ihren
Bruder an.
Raimund senkte das Haupt.
»Zu Zeiten …«, flüsterte er, »zu Zeiten neige auch ich zu der
Ansicht, dass Gott nicht so allmächtig ist, wie er es gern wäre. Und der wahre
Herrscher der Welt den menschlichen Körper nur geschaffen hat, um diesem Qualen
zu bereiten und ihn vor Sehnsucht vergehen zu lassen.«
»Möge das gute Gedächtnis deiner Tochter ihr dereinst nicht zum
Verhängnis werden«, erwiderte Clara hart und ließ ihren Bruder stehen.
Zwar hatte sie Lisette nicht aufspüren können, aber unter ihren
Leuten Geschichten von der einstmals reichen Pariserin gehört, die ihr gesamtes
Vermögen der katharischen Kirche geschenkt hatte und deren Mann auf einem der
Scheiterhaufen Beaujeus verbrannt worden war. Nach dem Einmarsch des Grafen von
Champagne hatte niemand die Frau wiedergesehen. Clara ahnte, welche Ängste
Lisette befallen haben mussten, als sie die Abgesandten des Königshofs erkannt
hatte. Es versetzte ihr einen Stich, als sie bedachte, dass Lisette auch aus
Furcht vor ihr, Clara, davongelaufen war.
»Er ergibt sich kampflos?«, fragte Blanka misstrauisch.
Sie schob das Öllicht näher heran, um das Schreiben zu studieren, das der Graf
von Champagne aufgesetzt und ihr vorgelegt hatte.
»Was heißt kampflos«, erwiderte Theobald, tief den Veilchenduft
einatmend, der von Blanka ausströmte. »Er kämpft seit Jahren und ist jetzt am
Ende seiner Kräfte. So wie ich ihn kennengelernt habe, wird er zu seinem
Treueid stehen, wenn er ihn denn leistet. Nur …«, unbehaglich rutschte er auf
der Bank hin und her.
»Nur?«, hakte Blanka nach.
»Er sollte nicht sämtlicher Rechte verlustig gehen, nicht gänzlich
sein Gesicht verlieren, Herrin. Wenn ich Euch einen Rat geben darf, belasst ihm
einen großen Teil seines Gebiets. Er ist ein guter Herrscher.«
»Solche sind nicht immer gute Vasallen. Und Rom wird auch etwas
abhaben wollen.«
Theobald deutete auf ein weiteres Pergament auf dem Tisch, dessen
verräterisches Bleisiegel an einer feinen Hanfschnur hing. Das römische
Schreiben war ihm schon beim Eintritt in das Gemach aufgefallen, und er hatte
sich gefragt, welche Botschaft Papst Gregor Blanka wohl gesandt haben mochte.
»Hat der Heilige Vater in dieser Bulle etwa genaue Forderungen
gestellt?«, fragte er gespannt.
Blanka griff rasch nach dem Schriftstück und barg es in ihrem
Gewand.
»Nein«, erwiderte sie kurz, nicht im Mindesten gewillt, Theobalds
Neugier zu stillen. Das Schreiben aus Rom war persönlicher Natur: Papst
Gregor hatte sie von ihrem Gelübde entbunden, wiewohl er dessen Inhalt nicht
kannte. Blanka hatte ihn nur wissen lassen, sie habe vor Jahren leichtfertig
ein Gelübde abgelegt, das sie nicht einhalten könne, da es dem Wohl ihres
Landes und des Heiligen Stuhls im Wege stehe. Der Heilige Vater möge sie von
ihren Gewissensqualen befreien. Was er, ohne weiter nachzufragen, getan hatte.
»Die Rechte an der Markgrafschaft
Provence dürften dem Papst fürs Erste genügen«, bemerkte Theobald schroff.
Jedes Geheimnis der Königin betrachtete er als seinen persönlichen Feind.
Blanka musterte das finstere Gesicht ihres treusten Vasallen. Sie würde ihm
also einen Brocken hinwerfen, die Nachricht, die ihr Frankreichs Vertreter in
Rom mit demselben Boten zugesandt hatte und die in gewisser Weise ja auch mit
ihrem Gelübde zusammenhing: »Der Papst wird Franz von Assisi demnächst
heiligsprechen.«
Theobalds ehrliche Freude hatte weniger mit dem künftigen Heiligen
zu tun als mit der beseligten Erinnerung, die diese Botschaft in ihm auslöste.
Ihm wurde warm bei dem Gedanken an die Zeit im duftenden Garten von
Portiuncula, an die Nächte, in denen er den Schlaf der geliebten Frau bewacht
und sie einmal sogar heimlich auf die Lider geküsst hatte. Nie zuvor und nie
danach war er so vertraut und ungezwungen mit der Königin umgegangen. Nie zuvor
und nie danach hatte sie ihm eine solche Nähe gestattet.
Blanka beugte ihr Haupt wieder über das Pergament. Während sie las,
konnte Theobald den Blick nicht von ihr lassen. Ein paar Haarsträhnen hatten
sich unter der Kopfbedeckung hervorgestohlen. Durch das helle Braun zogen sich
vereinzelte graue Fäden. So lange liebe ich sie schon, dachte er versonnen,
darüber ist sie grau geworden. Und nicht einen Deut weniger begehrenswert.
Eigentlich befand er sich seit Wochen in Hochstimmung. Ungeachtet
der bösen Gerüchte, die über ihn und die Königin immer noch in Umlauf waren,
hatte ihn Blanka
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