Die Kathedrale der Ketzerin
in
meiner Ehe gefunden. Ist es zu viel verlangt, wenn ich es noch einmal
einfordere? Indem ich dich heirate?«
Raimund beugte sich über das Antlitz der Frau, die er einen Tag
zuvor zum ersten Mal gesehen hatte, küsste ihre Augenlider, ihre Nase, die
Grübchen neben ihrem Mund, ihren Hals und umwölbte die immer noch schönen
weißen Brüste mit seinen Händen, bevor er wieder sprach.
»Nichts wäre mir lieber, Blanka, das weißt du. Aber …«, seine Stimme
wurde dunkler, »unsere Mütter waren Schwestern. Wir sind zu nah verwandt. Kein
Papst wird unserer Verbindung je zustimmen können.«
»Also gut, unsere Kinder sollen heiraten, nicht wir!«, fügte sich
Blanka. Zärtlich fuhr sie die Konturen seiner Lippen mit einem Finger nach, den
sie anschließend küsste.
»Lass uns einen Pakt schließen«, bat Raimund.
Die Grübchen um Blankas Mundwinkel vertieften sich und erinnerten
ihn wieder daran, weshalb er überhaupt in Meaux war.
»Einen anderen, einen ganz privaten Pakt«, betonte er, jetzt
gleichfalls lächelnd. »Sollte diese Nacht Folgen gezeitigt haben, pfeifen wir
auf den Papst, die Verwandten und alle anderen. Dann heiraten wir.«
»Einverstanden«, flüsterte Blanka, näher an ihn heranrückend. »Ein
Gottesurteil der besonderen Art. Aber wir sollten den Herrn von der
Ernsthaftigkeit unseres Ansinnens überzeugen, findest du nicht?«
Er zog sie noch näher zu sich heran.
»Unbedingt«, flüsterte er ihr ins Ohr, während er daran dachte, dass
sie höchstselbst wenige Stunden später zu einem Feldzug aufbrechen sollte, bei
dem er sie liebend gern begleiten und beschützen würde, aber beides aus in der
derzeitigen Lage höchst absurden Gründen nicht konnte.
Ihre bittere Enttäuschung ließ sich Clara niemandem
gegenüber anmerken. Blanka war am Mittag in Meaux eingetroffen und im
Schneegestöber des nächsten Morgens wieder abgereist, ohne sie und Johanna auch
nur begrüßt zu haben.
»Die Königin ist derzeit überaus beschäftigt«, tröstete sie die
gleichfalls enttäuschte Johanna, die sich nahe der Feuerstelle ihres Gemachs in
eine Decke eingewickelt hatte. So aufregend das Kind den ersten Schnee seines
Lebens auch fand, an die Kälte konnte es sich nur schwer gewöhnen. »Sie hat
viele böse Feinde.«
»Wie meinen Vater?«, fragte Johanna fast anklagend und zog die
Decke noch fester um den schmalen Körper.
»Nein, richtige Feinde«, antwortete Clara. »Mit deinem Vater gilt es
nur ein paar Schwierigkeiten auszuräumen. Deshalb sind wir ja hergekommen.«
Die Achtjährige nickte wissend. »Wenn ich Prinz Alfons heirate, wird
alles gut. Unsere Leute in Toulouse können wieder ihre Felder bestellen und
alle kriegen endlich genug zu essen.« Beunruhigt sah sie zu ihrer Tante und
fragte schüchtern: »Das ist doch so, Tante Clara?«
»Gewiss«, erwiderte Clara besänftigend. »Und du wirst Prinz Alfons
mögen.«
»Natürlich«, erwiderte das Kind und strahlte Clara an, »du magst ihn
ja auch.«
Das bedingungslose Vertrauen ihrer Nichte versetzte Clara einen
Stich. Wie sehr sie dieses mutterverlassene Mädchen doch liebte! Weil sie in
ihr sich selbst sah, das Kind vom Grafenhof in Toulouse, dessen Zukunft am
französischen Hof abgesichert werden sollte? Weil Johanna als erstes Geschöpf
mütterliche Regungen in ihr geweckt hatte? Sie würde die Tochter ihres
Bruders schweren Herzens in Paris zurücklassen, aber hätte sie auch ihr eigenes
leibliches Kind aufgeben können? Um sich dem wahren katharischen Leben zu
widmen, wie es ihre Mutter offenbar getan hatte?
Nachdem ihr Raimund den Namen ihrer Mutter verraten hatte, hatte
Clara die Suche nach Ermine aufgenommen. Alexander und ein paar andere gute
Menschen hatten zwar tatsächlich von einer Perfecta dieses Namens gehört, doch
niemand wusste Näheres über ihren Aufenthaltsort. Keiner der Befragten war ihr
in den vergangenen Jahren begegnet, weshalb es durchaus wahrscheinlich
erschien, dass sie ihr Ende auf einem der Scheiterhaufen Beaujeus gefunden
haben musste.
Ob sie wohl Felizian im Himmelreich begegnet ist? Wachen die
beiden Seelen über mich? Wäre ich fähig gewesen, meiner Tochter gänzlich zu
entsagen? Solange ich diese Frage noch stelle, darf ich nicht einmal
anstreben, Perfecta zu werden. Sollte ich nicht doch noch eine Weile am Hof
bleiben, wenigstens so lange, wie Johanna mich braucht? Oder bin ich es, die
sie braucht? Weil sie mir das Gefühl vermittelt, in ihrem Leben wichtig zu
sein? Welch ein Hochmut! Wie vermessen von
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