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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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geschmähten
Alten Testament vorgetragen hatte, war ihr so erschreckend vorgekommen wie der
Gedanke, selbst über den Tod hinaus noch Schmerzen empfinden zu müssen. Aber
sollte man eine solche Verkündung für wahr halten, nur weil sie erzählt
wurde? Dennoch, überlegte sie, wäre es gut, in der letzten Stunde eine
Perfecta in der Nähe zu wissen. Nur für alle Fälle. Man weiß ja nicht.
    Felizian hatte ihr auf dem Heimweg erläutert, diese Luftteufel
gehörten einer besonderen Klasse von gefallenen Engeln an, die nicht in Körper
eingeschlossen seien, sondern in der Luft gefoltert würden. Der Mensch könne
von seinem Elend nur durch einen Tod nach gespendetem Consolamentum erlöst
werden.
    »Ansonsten werden wir immer aufs Neue auf die Welt kommen, als
Mensch oder als Tier, werden bis in alle Ewigkeit Leid, Schmerz und Tod
ausgesetzt sein. Dieser Bann muss gebrochen, die Ohnmacht des Menschen
überwunden und Satan endlich in seine Schranken gewiesen werden. Das ist unsere
Aufgabe, Clara, und ihr werde ich mich bis zu meinem letzten Atemzug weihen.«
    »Magst du mir denn helfen?« Der feste Druck von
Theobalds Hand katapultierte Clara wieder in die Gegenwart. Sie befreite sich
von den Gedanken an die schrecklichen Luftteufel, erwiderte den Druck, und das
fühlte sich gut und sehr lebendig an.
    Welchen Irrungen mag ich aufgesessen sein, ging ihr durch den Kopf.
Felizian, von dessen Familie und Leben ich nichts weiß, kenne ich kaum einen
Monat, Theobald, einen der Edelsten des Landes, fast mein ganzes Leben lang!
Ihn habe ich immer geliebt. Dass er mich enttäuscht hat, ist gewiss als Prüfung
zu verstehen. Wie auch die Begegnung mit dem schönen Felizian. Der ist mir als
Versuchung gesandt worden! Warum erkenne ich das jetzt erst? Gott will mein
Herz prüfen. Ob es schnell auf Abwege geraten kann oder zu bedingungsloser
Treue fähig ist. Trotz aller Widerstände an dem festzuhalten vermag, was es
gelernt und seit ewigen Zeiten als richtig erkannt hat. Die Liebe zu Theobald,
der mir das Leben gerettet hat, die Liebe zu dem Gott, der mir seit frühster
Kindheit nahesteht. Ach, wie schwach das Herz doch ist, wie leicht es sich
verführen lässt! Gottes Stellvertreter ist der Heilige Vater in Rom. Seit
mehr als tausend Jahren ist sein Wort Gesetz. Dem sich sogar Kaiser und Könige
beugen. Wer bin ich kleine Seele denn, das anzuzweifeln? Wie leicht wiegen
dagegen die verrückten Worte von Ketzern, die in ihrem Vaterunser um das panem
supersubstantialem , das überstoffliche Brot, beten und es das
Gesetz Christi nennen! Davon kann doch niemand satt werden.
    Wie der Wanderer den Schatten suchte Claras Geist Zuflucht im Schutz
des Vertrauten. Angst packte sie, Angst, sich durch ein Bekenntnis zu Felizians
Gedanken, zu Felizian selbst, in einer unbekannten Weite zu verlieren, alles zu
verlieren, nicht zu wissen, wohin denn eine Reise zu solch fremden Gestaden
gehen sollte und was sie bei der Ankunft dort vorfinden würde.
    Angesichts dieser feierlichen Krönung – von Gottes Gnaden! –,
umgeben von viel kirchlicher Pracht und weltlichem Prunk, von mächtigen
Würdenträgern und hehren Worten kam ihr mit einem Male das Streben der guten
Menschen in ihren feuchten Pariser Kellern und dunklen Scheunen erbärmlich und
sinnlos vor.
    Verzweifelt zupfte Theobald an ihrem Ärmel.
    »Bitte hilf mir, Clara, ich schaffe es nicht allein! Eröffne mir
den Weg zu unserer Herrin!«
    »Ich werde es versuchen«, entgegnete sie ausweichend.
    Rasch überlegte sie, wie sie Blankas Auftrag, ihr Theobald vom Leibe
zu halten, mit seinem Wunsch vereinbaren könnte, der Königin wieder nahe zu
kommen. Dabei fiel ihr ein mögliches Hindernis ein.
    »Wo ist deine Gemahlin?«, fragte sie.
    Theo blies die Backen auf und entließ die Luft in einem tiefen
Seufzer.
    »Zu Hause. In Troyes. Meine Mutter führt sie in die Geschäfte ein.«
    »Liebst du sie?«
    »Meine Mutter?«
    »Sei nicht albern.«
    Clara fühlte sich stark. Welch ein Genuss, Theo zurechtweisen zu
dürfen, von ihm gebraucht zu werden! Felizian brauchte sie nicht. Er hatte
seine ketzerische Gemeinschaft. Und ein Ziel: zu einem Perfectus zu werden,
zu einem Vollkommenen, der dafür lebte, Gutes zu tun, zu sterben und nie
wiedergeboren zu werden. Sie, Clara, störte seine Kreise, denn er durfte sie
nicht lieben, wie ein Mann eine Frau liebt. Nein, es wäre verwerflich und
völlig aussichtslos, das Herz an einen solchen Menschen zu hängen.
    Dem war doch ein frisch verheirateter

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