Die Kathedrale der Ketzerin
Grölen aus der Ferne
sowie der gelegentliche Missklang eines Musikinstruments verrieten ihr, dass
das Gelage noch im Gange war. Allerdings ohne das Königspaar. Es war an der
Kammer vorbeigekommen, als Theobald, nur mit seiner fleckigen Tunika bekleidet,
hinter Clara stand, die, über den Zuber gebeugt, seine Beinkleider schrubbte.
Ludwig hatte darüber geklagt, auf dem Weg ins Bett über so viele
Schlafende steigen zu müssen.
»Du, mein geliebter Löwe«, hatte Blanka leise lachend geantwortet,
»wirst heute dein lustvolles Gebrüll zügeln müssen, wenn du gleich zu mir
kommst.«
»Sie beminnt ihn«, hatte Theobald zwischen zusammengebissenen Zähnen
hervorgebracht.
»Weil sie ihn über alles liebt.«
Clara wusste, mit diesem Satz
einen Dolch in Theobalds Herz gestoßen zu haben, aber sie hatte nicht mit dem
gerechnet, was dann geschah. Wie ein Wahnsinniger war er über sie hergefallen,
hatte sie auf den Boden geworfen und war mit roher Gewalt in sie eingedrungen,
ohne ihr das schmutzige Unterkleid vom Leib gerissen zu haben. Mit jedem seiner
Stöße schlug ihr Kopf hart auf dem Boden auf. Sie verspürte keinen Schmerz,
weder oben noch unten; sie fühlte gar nichts. Es war ihr, als hätten sich Geist
und Seele von ihrem Körper gelöst. Schlaff wie eine strohgefüllte Puppe aus
Stoff diente sie dem gedemütigten Troubadour zur Entladung von Gefühlen und
Körpersäften. Wie oft hatte sie von einer innigen Begegnung mit Theo geträumt,
davon, ihn zärtlich zu berühren und von ihm gekost zu werden! Von der
Erregung, die er in ihr erwecken würde. Sie wollte sie schüren, auskosten und
ihn zum Wahnsinn treiben.
Wahnsinnig war er. Doch die Leere, die er nach dem Vollzug in ihr
hinterließ, war schmerzlicher und unerträglicher als die unerfüllte
Leidenschaft der früheren Jahre.
Wahrscheinlich hatte er sich gewundert, wie nüchtern und ungerührt
sie danach einem betrunkenen Ritter von Theobalds Statur auf dem Flur das
Gewand abgestreift hatte. Schließlich sollte der Graf von Champagne bekleidet
zu seinem Gefolge zurückkehren.
»Geh«, flüsterte sie und warf die Kleidung in die Dunkelheit des
Raumes hinein. »Alles schläft.«
Rasch zog er sich an.
Sie wich zurück, als er sie zum Abschied auf den Mund küssen wollte.
»Zu spät«, flüsterte sie, war sich aber ungewiss, ob er den Sinn
dieser beiden Worte verstand.
Geistesabwesend erledigte sie ihr Waschwerk, fachte das Feuer im
Kamin wieder an und legte ihre und Theobalds Kleider über die Stühle, über die
Blanka und sie am Tag zuvor die Haare gehängt hatten. In dieser Nacht würde sie
nicht schlafen, aber dafür später dem entkleideten Ritter Theobalds getrocknete
Sachen anziehen oder zumindest auf ihn legen können. Sollte dieser unbekannte
Schnarcher doch denken, dass er sich im Rausch selbst der über und über
besudelten Kleidung entledigt oder sie mit einem anderen Edlen getauscht hatte.
Felizian, sagte sie leise, und der Klang dieses Namens traf sie mit
solcher Wucht, dass sie für einen Augenblick mit der Arbeit innehielt. Ihr
stockte der Atem. Wie unwürdig sie seiner doch war. Wozu hatte sie sich soeben
hinreißen lassen! Wie nur hatte sie sich von der allzu offensichtlichen
Prachtentfaltung des vergangenen Tages blenden lassen? Sie kannte doch die
Wahrheit. Auch die über Theobald.
Wütend bearbeitete sie einen hartnäckigen Fettfleck an ihrem Kleid mit Asche. Wie rein du bist, Felizian, so
gänzlich ohne Arg und Berechnung. Wie wenig schert dich die Anerkennung
der Welt! Wie ernsthaft du doch deine Ziele verfolgst und Gott wahrhaft
suchst. Wie liebevoll du mir meine Verfehlungen nachsiehst! Wie anders du
bist als Theobald! Ich sehne mich nach dir! Nach einem Menschen ohne
jeglichen Hintergedanken, nach einem Menschen, der andere nicht zur Erreichung
seiner Ziele missbraucht. Mit dir kann ich über alles reden. Ich werde dir sagen,
was mir geschehen ist. Was ich getan habe. Wie verwerflich ich gedacht und
gehandelt habe.
Du wirst mich nicht verurteilen, mich nicht schelten. Du weißt ja,
woher das Böse kommt, du weißt, dass ich keine Wahl hatte. Und Theobald auch
nicht. Satan ist über uns gekommen. Mir war beinahe, als hätte ich seinen
Pferdefuß gesehen und den Schwefel gerochen. Aber der Teufel darf den Sieg über
mich nicht davontragen. Ich werde mich mit aller Kraft wehren.
Ich werde euch helfen, seine Macht zu brechen.
Sie richtete sich auf. Es war höchste Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Sie musste aufhören,
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