Die Kathedrale der Ketzerin
Theobald durch seine kunstvollen Verse je
auszudrücken vermag. Ich darf dich nicht daran hindern, ein Perfectus zu
werden, doch du hinderst dich selbst, indem du mich so liebst. Das kann doch
keine Sünde sein! Glaube, Liebe, Hoffnung. Die drei göttlichen Tugenden. Und
sollte die größte unter ihnen tatsächlich die Liebe sein, dann gibt es auch für
uns Hoffnung. Am Glauben mangelt es mir nicht.
»Sag Ludwig, dass ich Königin Ingeborg aufgesucht habe, um mich mit
ihr über die politische Lage zu beraten«, flüsterte Blanka. »Ich werde mich zu
ihr nach Corbeil begeben, wenn unser Kind gerettet ist.«
Ludwig befand sich in heller Aufregung. Soeben war ihm der
Besuch des päpstlichen Legaten Romain Frangipani in äußerst wichtiger Mission
angekündigt worden. In spätestens zwei Tagen würde der Gesandte des Heiligen
Vaters in Paris eintreffen. Der König konnte sich schon denken, um was es ging.
Mit Sicherheit nicht nur darum, dass er in Frankreich die Macht der Kirche
zurückgedrängt und neue Ämter nicht mit kirchlichen Würdenträgern, sondern mit
normalen Beamten besetzt hatte, obwohl dies dem Heiligen Vater auch nicht
gerade Behagen bereitet hatte.
Seufzend überlegte er, wie er sich wieder einmal aus dem Streit
zwischen Raimund von Toulouse und dem Papst heraushalten könnte, aber er war
nicht guten Mutes.
Diesmal würde der Bischof von Rom deutliche Worte finden, ihn in den
Krieg gegen die Ketzer zu schicken. Denn die Lage im Süden bedrohte die
Autorität des Heiligen Stuhls mehr denn je.
Bis zum Waffenstillstand vor
König Philipps Tod hatte sich Simon von Montforts Sohn Amaury vergebens bemüht,
alle eroberten Gebiete in Okzitanien zu halten. Eins nach dem anderen hatte ihm
der furchtlose Raimund wieder abgenommen. Aus Verzweiflung darüber hatte Amaury,
dankbar über den Waffenstillstand, Ludwig die okzitanischen Länder heimlich
angeboten; im gleichen Zug hatte sich Raimund die Unterstützung des englischen
Königs zusichern lassen. Heinrich III .
verpflichtete sich, die Rechte und das Gebiet Raimunds VII . gegen den französischen König zu verteidigen,
sollte ihn dieser angreifen.
Dass Raimund im Januar auf einem in Paris einberufenen Konzil wieder
einmal vom Papst exkommuniziert worden war, dürfte er gelassen hingenommen
haben, war er mittlerweile doch daran gewöhnt, dass man ihn in fast
regelmäßigen Abständen aus der Kirche ausschloss. Um wenig später dann doch
wieder in Gnaden aufgenommen zu werden.
Schon auf diesem Konzil wurden Ludwig die Länder Amaurys offiziell
übertragen. Gleichzeitig war er aufgefordert worden, dafür »um Gottes willen
nach Toulouse zu ziehen und sich das ihm gehörige Land zu nehmen«. Mit der
Begründung, er brauche Zeit, um seine Heerführer zu überzeugen, hatte sich
Ludwig Aufschub ausbedungen. Schließlich müsse er sich auf seine Streitmacht
verlassen können. Nicht dass sich ein großer Teil der Barone und ihrer Leute –
wie bei dem früheren Kreuzzug in den Süden – nach den vierzig vorgeschriebenen
sogenannten Quarantänetagen mit der Sicherheit des Sündenablasses wieder
absetzen würde. Tatsächlich verspürte er selbst nicht das geringste Bedürfnis,
Länder heimzusuchen, die ihm auf diesem Konzil in den Schoß gefallen waren.
Gewiss, er wollte Gott dienen, doch Gewalt war ihm abhold. Er wollte sich mit
Blanka beraten, aber die war abwesend.
»Was will sie denn jetzt bei Königin Ingeborg?«, fragte er
ungeduldig. »Wir brauchen sie doch hier!«
»Darf ich näher treten?«, bat Clara, die mit lauter Stimme von
ihrem Platz nahe der Tür Ludwig über Blankas Aufenthaltsort in Kenntnis gesetzt
hatte. Ungeduldig winkte der König sie heran.
»Lisette steht bereit«, raunte sie ihm zu. »Niemand wird etwas
bemerken.«
Der König forderte Hofbeamte und Würdenträger auf, das
Beratungsgemach zu verlassen. Clara bedeutete der Kammerfrau, die sie begleitet
hatte, zu bleiben. Nur fünf Menschen wussten von dem Geheimnis um die schöne
Lisette, und drei von ihnen standen jetzt beieinander. Nach Ludwigs
Kenntnisstand waren die anderen beiden, Blanka und Ingeborg, jetzt auch
zusammen.
Lisette war die Ehefrau eines Pariser Steinmetzes, der gerade an dem
Skulpturenschmuck der neuen Kathedrale arbeitete. Als Ingeborg und Blanka eines
Tages gemeinsam den Fortgang der Fassadengestaltung besichtigten, fiel ihnen
die junge Frau auf, die ihrem Mann in einer irdenen Schüssel zu Mittag eine
Speise brachte. Ihre schlichte Kleidung täuschte nicht darüber
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