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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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residierte,
wusste aber auch, dass sie ihr Ziel nicht vor Einbruch der Nacht erreichen
würde. Und um Geleitschutz konnte sie niemanden angehen. Der König erwartete
Blanka spätestens am nächsten Abend. Sie musste sich sputen. Und durfte nicht
über Wegelagerer nachdenken.
    Blanka befand sich in Hochstimmung, als sie auf dem
klapprigen Gaul in Corbeil einritten. Sie bestand darauf, Felizian Ingeborg
vorzustellen.
    »Er gehört zu den Leuten, die meinem Sohn das Leben gerettet haben«,
erklärte sie und hieß den bescheiden schwarz gekleideten Mann vorzutreten.
    Der verneigte sich. Nicht sonderlich tief, nur höflich.
    »Gott hat das Kind gerettet«, sagte er leise. »Gute Menschen haben
erkannt, was ihm fehlte.«
    »Seht mich an!«, befahl ihm Ingeborg.
    Felizian hob den Kopf. Lange Zeit sahen er und Ingeborg einander in
die Augen. Es fiel kein Wort. Blanka wurde unbehaglich zumute. Ihr war, als
sprächen diese beiden Menschen miteinander, ohne Worte zu benutzen.
    »Mein Karl ist wieder ganz gesund«, brach sie das Schweigen und hob
den Korb an, in dem ihr Kind schlief.
    Ingeborg wandte sich ihr zu. Blanka las etwas in ihren Augen, das
ihr wie tiefe Trauer vorkam. Will sie etwa nicht, dass mein Kind lebt, dachte
sie entgeistert.
    »Doch«, beantwortete Ingeborg die stumme Frage, »ich bin sehr
glücklich, dass mein Enkel wieder gesundet ist.« Sie wandte sich an Felizian
und bemerkte wie nebenbei: »Gute Menschen, so, so, das glaube ich auch, aber
wo Gutes gewollt wird, gedeiht es nicht immer. Sehr oft fordert erst das Gute
das Böse heraus. Ist dann das Unheil geschehen, mag keiner mehr sagen, welches
nun an seiner Wiege gestanden hat. Und das ist dann auch höchst gleichgültig.
Bedenkt doch, meine Kinder, kein Krieg wird je im Namen des Bösen geführt. Und
um diese Sache …« Sie machte eine Pause, blickte Felizian wieder tief in die
Augen und fuhr fort: »… werden noch viele unnütze Kriege geführt werden. Die
viele Menschen bereichern werden, aber an deren Ende es nur Besiegte geben
wird.«
    Felizian runzelte die Stirn.
    »Darf ich fragen, wer Ihr seid, die Ihr so kluge Worte zu finden
wisst?«
    Selbst die ansonsten uneitle Ingeborg konnte bei dieser Frage ein
leises Lachen nicht unterdrücken. Ihr gefiel, dass die Frau ihres Stiefsohnes
unerkannt mit einem fremden Mann zu ihr gekommen war. Offensichtlich einem
Häretiker, dem nicht nur ihre eigene Stellung, sondern auch die seiner
Begleiterin ebenso wenig bekannt zu sein schien wie Königin Blanka die
Tatsache, dass sie mit einem Ketzer nach Corbeil gereist war.
    Ingeborg fand, dass sie von vielen Menschen zu Unrecht bedauert
wurde; was sie an Schicksalsgeschichten anderer erleben durfte, übertraf ihre
eigene in hohem Maße. Aber jenes Wissen, das der Zeit vorauseilte, ließ sie
augenblicklich wieder sehr ernst werden.
    »Ich bin nur eine Frau, die, weil erkannt, unerkannt ist«,
antwortete sie. Da jedoch Blanka im Raum weilte, setzte sie hinzu: »Wir sind
hohen Geblüts, wie Ihr zweifellos bemerkt haben werdet.«
    Felizian verneigte sich abermals. Tiefer als zuvor. Dass dies aber
nicht der Bemerkung über das hohe Geblüt zu verdanken war, entging Blanka wie
zuvor der sprachlose Wortwechsel der beiden anderen. Sie blickte in das
zunehmend rosiger werdende Gesicht ihres Jüngsten, der in dem kleinen Korb auf
der Bank neben ihr lag, und freute sich ihres und seines Lebens.
    Clara sang das Hohelied des Vollmonds, als sie in Corbeil
einritt. Weder hatten ihr Wegelagerer aufgelauert, noch hatte sie einen
Augenblick an ihrer Route gezweifelt. Wider Erwarten war alles gut gegangen und
sie heil auf dem Landgut von Ingeborg angekommen.
    Blanka hatte sich noch nicht zu Bett begeben. Sie saß mit Königin
Ingeborg und Felizian beisammen, als Claras Ankunft in der Halle gemeldet
wurde.
    »Meine Retterin!« Blanka sprang auf und fiel ihrer Hofdame um den
Hals.
    »Nein!«, rief Clara, als Blanka sie losließ. »Ich habe doch gar
nichts getan.«
    »Ohne dich wäre Karl jetzt tot! Die besten Ärzte des Reiches
hatten ihn aufgegeben, er hatte bereits die letzte Salbung erhalten! Du,
Clara, du hast den Königssohn gerettet. Wir stehen tief in deiner Schuld!«
    Obwohl sie unmittelbar neben der Feuerstelle stand, erschauerte
Clara, als sie Felizian wahrnahm, der Königin Ingeborg gegenübersaß. Tausend Gedanken
schossen ihr durch den Kopf. Obenan stand die Angst um den Mann, den sie
liebte. Die alte Monarchin, die einst so tief
in Theobalds Herz geblickt hatte, musste

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