Die Kathedrale der Ketzerin
gewesen wäre, wenn ich das je ausgesprochen hätte!
Fast lächelte sie ein wenig. Ja, Theobald, du bist ein oberflächlicher,
zügelloser Höfling, doch deine Seele entsinnt sich der Wahrheit und
letztendlich handelst du recht. Wenn Blanka und Gott dir verzeihen, dann tue
ich es auch. Felizian hatte recht, es ist viel Liebe in mir. Auch dir kann ich
davon abgeben.
Ihre große Enttäuschung war nicht Theobald, sondern Blanka. Nach der
Lektüre des Briefs hatte sie Blanka als einen
weiblichen Messias betrachtet, der sich großen Gefahren aussetzte, um den
Verfolgten der Welt eine Stimme zu geben, die nicht überhört werden
konnte. Sie war die Königin Frankreichs. Sie hatte ein feierliches Gelübde
abgelegt. Sie würde nicht nur die Leute, die ihrem Sohn Karl das Leben gerettet
hatten, vor weiterer Heimsuchung schützen, sondern dazu beitragen, mit ihrem
Einfluss auf den Papst der gesamten Menschheit eine Richtung vorzugeben, die
alle der Glückseligkeit zuführen würden. So hatte Clara geglaubt und gehofft.
Und dann sprach Blanka von den verdammten Ketzern! Was war im Lateranpalast
geschehen? Hatte der katholische Bischof von Rom die Königin umgestimmt?
Warum hatte sie, Clara, nicht den Mund geöffnet und Blanka befragt? Weil ich
es nicht konnte, gestand sich Clara ein; ich war zu erschrocken, als ich sie so
über meine Leute reden hörte. Aber wie nur kann die Königin Franz von Assisi
verehren und die guten Menschen, die gleich ihm Christi nachfolgen, derart
verachten? Clara zermalmte das Apfelgehäuse.
Ich habe mich erhoben, schalt sie sich, mich selbst als Werkzeug
gesehen. Das war unrecht. Ich war das Werkzeug des Teufels. Nie hätte ich
Blanka dieses Gelübde abverlangen dürfen! So habe ich durch meine Einmischung
alles nur schlimmer gemacht. Wie oft hat mich Felizian davor gewarnt! Wahre
Demut sieht anders aus.
Clara hatte sich in den vergangenen Stunden nach dem Stand der Sonne
gerichtet. Ihr Ziel lag im fernen Westen. Irgendwie musste sie ans Meer kommen
und mit einem Schiff wieder zurück nach Okzitanien fahren. Nicht zu ihrem
Bruder nach Toulouse. Der hatte sich vermutlich dem König und seinem Riesenheer
inzwischen auch ergeben.
Clara wollte an einen Ort, der auf einem unzugänglichen Berg lag, in
eine Festung, die niemals erobert werden würde. Auf den Montségur. Die
katharische Kirche hatte die Burg auf der Spitze dieses Berges in den
vergangenen Jahren ausgebaut und zu ihrem Hauptsitz gemacht. Dort lagerte auch
der Schatz, mit dem Credentes und Perfecti nach der Befreiung das Elend der
Welt zu beenden gedachten. Nie wieder würde ein Mensch Hunger leiden müssen,
wenn es genügend Mittel gäbe, um allen ein Leben in Frieden und Freiheit zu
gewähren. Zuwendungen, Spenden und Erbschaften waren zu einem riesigen Vermögen
angewachsen, das tüchtige Katharer sorgsam und gewissenhaft hüteten, um diesen
Traum zu verwirklichen. Natürlich war Geld des Teufels, aber nicht mehr oder
weniger als alles andere Irdische auch. Also konnte man es nutzen, um Gutes
damit zu tun.
»Ich bin besitzlos, aber nicht arm«, hatte ihr Felizian einmal
auseinandergesetzt. Wie Franz von Assisi hatte auch er sich für die Armut
entschieden – was etwas gänzlich anderes war, als ihr hilflos ausgeliefert zu
sein, wie die meisten Menschen, die unfreiwillig in große Not geraten waren.
»Was der Mensch braucht, steht ihm zu, und das ist sehr wenig.«
Der katholische Bischof von Rom predigte Bedürfnislosigkeit, derweil
er in unvorstellbarem Prunk lebte, den ihm die Gläubigen mit ihren Abgaben
ermöglichten.
»Vielleicht wünscht er diesen Reichtum um sich gar nicht, aber er
glaubt ihn zu benötigen, um seine Anhänger zu beeindrucken«, hatte Felizian
gesagt.
Wie eine Königin Schönheit benötigt, war Clara bei diesen Worten
durch den Kopf gegangen. Schönheit und Prunk. Äußerlichkeiten. Eitelkeit.
Zeichen des Teufels. So einfach war es.
Aber sogar Blanka hatte sich auf den Weg gemacht, um darüber
hinauszugelangen und etwas zu ändern. Clara konnte sich nicht vorstellen, dass
irgendein Lebender dieser Königin etwas abschlagen konnte. Und doch war Blanka
beim Papst mit ihrer Mission offensichtlich gescheitert. Wenn sie es wirklich als
ihre Aufgabe angesehen hatte, den Verfolgten beizustehen. Vielleicht hatte sie
mit ihrer Reise einen ganz anderen Zweck angestrebt und Clara mit dem Brief nur
Sand in die Augen gestreut. Wie Theobald hatte sich auch Clara darüber
gewundert, dass sich die Königin den Katharern
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