Die Kathedrale der Ketzerin
Mittagsstunde des 25. Oktober lud König Ludwig
nach der Messe seine weltlichen und geistlichen Heerführer zu einem Umtrunk in
sein Zelt auf einem verwüsteten Lavendelfeld. Am Himmel sammelten sich Wolken,
die ein Gewitter ankündigten.
»Eine Kräftigung, bevor wir aufbrechen«, meinte er, »auch im Norden
harren unser noch Aufgaben.«
»Versöhnung mit der Champagne«, erklärte der Mundschenk und reichte
dem König einen rubinbesetzten goldenen Becher.
Das Antlitz des Monarchen verdüsterte sich.
»Verwüstung«, murmelte der, blickte in das Trinkgefäß und fragte
nach dem Ursprung des funkelnden Getränks.
»Was bietet Ihr mir hier an?«
»Einen Tropfen aus ebenjener Champagne«, erwiderte der Mundschenk,
wie Theobald ihm aufgetragen hatte. »Bei seinem eiligen Aufbruch in Avignon hat
der Graf nicht nur seine Treue zum Königshaus hinter sich gelassen. Beides
sollte ihm nicht nachgetragen werden.«
Auf diesen Satz war Theobald besonders stolz gewesen und hatte ihn
sich mehrfach wiederholen lassen.
»Was unterstehst du dich!«, fuhr der König den Mundschenk an und
setzte den Becher an die Lippen.
Der Mundschenk, ein redlicher Mann und ein schlechter Troubadour,
versteinerte. Er hatte gehofft, mit diesem speziellen Trunk seinen Beitrag zur
Aussöhnung des Königs mit dem begnadetsten Troubadour aller Zeiten beizutragen.
Theobald hatte ihm angedeutet, es gäbe zwischen ihm und dem König geheime
Zeichen des Einvernehmens, zu denen eben auch das Kredenzen jenes Tropfens
gehörte.
Doch der Graf von Champagne hatte sich bereits vor Monaten
abgesetzt, und das Echo seiner eindringlichen Erklärungen war schwächer
geworden. Dem Mundschenk dämmerte, von Theobald möglicherweise zu einer höchst
üblen Tat verführt worden zu sein.
Hastig griff er nach dem Becher, den der König wieder abgesetzt
hatte. »Vielleicht ist Euch nach einem anderen Trunk zumute«, sagte er, doch
der König schlug ihm auf die Finger.
»Womit ließe sich trefflicher auf den Untergang der Champagne
trinken?«, fragte er und leerte den Becher in einem Zug.
Der Mundschenk bekreuzigte sich.
Im fernen Frankreich schlug Königin Ingeborg die Hände
vors Gesicht. Sie hatte das Unheil nicht verhindert, sondern herbeigeführt. Auf
dem Tisch vor ihr lag ein Schreiben von Agnes von Beaujeu, der Gemahlin des
Theobald von Champagne. Sie habe, wie gewünscht, schrieb Agnes, ihrem geliebten
Mann das Mittel gegen schädliche Sonneneinwirkung vor seinem Kreuzzug in den
Süden überreicht. Er habe einen Tropfen auf die Handfläche getan und sie von
seinem Jagdhund ablecken lassen. Wenige Stunden später sei das Tier qualvoll
verendet.
»Verehrte Königin«, schrieb Agnes, »erlaubt mir die Frage: Wie
viel schädlicher ist denn dieses Mittel als die Sonne, die doch Leben
schenkt? Mein Gemahl teilt meine Sorge nicht. Er meinte, er wisse die Kraft
Eures Geschenks zu schätzen und werde zu gegebener Zeit davon Gebrauch machen.
Es verstehe sich von selbst, dass auch die Haut des edlen Königs, Eures gütigen
Stiefsohnes, dank dieser großzügigen Gabe dem Brennen der Sonne für alle Zeit
ferngehalten werden soll.«
Wiewohl sie kaum zu hoffen wagte, das Unheil noch aufhalten zu
können, sandte Königin Ingeborg augenblicklich einen Eilboten in den Süden. Sie erwog, Vater Elias zu rufen, ließ aber
davon ab. Was sie zu beichten hatte, würde den armen Priester nicht nur
überfordern, sondern seinem Herzen möglicherweise tödlichen Schaden zufügen.
Mit ihrer Schuld musste sie allein fertig werden.
Ach, wie recht hatte König Philipp daran getan, sie in einen Turm zu
sperren, wo sie keinen Schaden hatte anrichten können! Wie schon so oft in
ihrem Leben fragte sie sich, wozu ihr Gott die Gabe der Vorausschau geschenkt
hatte, wenn sie damit doch nichts Gutes bewirken konnte. In solchen
Augenblicken war sie sehr geneigt, den Gedanken der Katharer zu folgen, dass
nämlich ein ganz anderer über diese Welt herrschte und folglich auch solch
zerstörerische Gaben verlieh.
Ingeborg rutschte von ihrem Stuhl und brauchte eine Weile, ehe sie
mit ihrem von der Gicht befallenen Körper ordentlich knien konnte.
»Gott«, flehte sie, »ich habe gesündigt! Einen Mann des Lebens
berauben wollen, der meinem geliebten Stiefsohn nach demselben trachtete. Weil
ich Ludwig retten wollte, habe ich ihn ermordet. Ich beschwöre dich, Herr –
verdunkle meinen Geist, wie du es bei Leuten meines Alters sonst so gern zu tun
pflegst!«
Es konnte nicht ausbleiben, dass die
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