Die Kathedrale der Ketzerin
Theobalds bemächtigt hatte, als sie allein mit ihm in der
Kammer seine Garderobe reinigte. Als er sie gepackt und mit verzweifelter
Gewalt genommen hatte? Da hatte das Tier in ihm, das jedem Mann innewohnt,
die Oberhand gewonnen, sein Begehren die Grenze der Schicklichkeit weit hinter
sich gelassen.
Und ich habe es einfach nur mit mir geschehen lassen, zugelassen,
dass sich Satan seiner bemächtigte, ohne mit meiner Liebe zu antworten. Mit der
Liebe, von der solch eine Fülle in mir steckt, wie mir irgendjemand vor gar
nicht langer Zeit versichert hat. Wer nur, und wann und wo war das gewesen?
Sie schämte sich. Ihm, dem großen, gewaltig Liebenden, war sie nicht
im Mindesten entgegengekommen. Furchtbar! Wie konnte ich nur so gefühllos
sein, schalt sie sich. Obwohl er doch so lange Herr meines Herzens war. Ich
hätte ihm deutlicher zeigen sollen, was auch ich für ihn empfand. Der arme
Mann. Was muss er gelitten haben.
Schwach erinnerte sie sich, das Erlebnis damals als Gewalt empfunden
zu haben. Die Gewalt der Liebe, sagte sie sich und legte sanft eine Hand auf
seinen Arm.
»Deine Nähe hat mir schon oft das Leben gerettet«, antwortete sie
auf seine Frage.
Er erschauerte unter ihrer Berührung und rückte einen halben Zoll
weiter. Die Ketzerin Clara war ihm lieber als die schwärmerische Verehrerin,
die gerade eine Rückkehr zu feiern schien. Er hatte sich lange nicht vergeben
können, sie in der Krönungsnacht so brutal vergewaltigt zu haben – schließlich
war sie ihm fast so etwas wie eine Schwester –, aber sie hatte das Ereignis nie
erwähnt und sich danach ihm gegenüber gleichbleibend freundlich, wenn auch
weniger anbändelnd, verhalten. Er schloss daraus, dass es ihr doch Freuden oder
zumindest ein kleines Glücksgefühl bereitet hatte, und das tröstete ihn über
den Eindruck hinweg, ihr möglicherweise Leid angetan zu haben. Aber er war
damals wie von Sinnen gewesen.
Zu hören, wie die frisch gesalbte Königin ihrem Gemahl tändelnd die
Süße ihrer unmittelbar bevorstehenden Umarmung ankündigte, hatte ihn jeglicher
Fassung beraubt, ihn über die Maßen erregt. So hatte die arme Clara, über den
Waschzuber gebeugt, als Blankas Stellvertreterin herhalten müssen.
Aber jetzt musste er Obacht geben. Aus Verzweiflung hatte er Clara
zu viel anvertraut. Des Königs Getreue würden später bezeugen können, dass sich
dieser in Avignon bester Gesundheit erfreut hatte und erst später krank
geworden war. Clara war in mancherlei Hinsicht sicherlich leichtgläubig, das
hatten die Ketzer ja auch schon ausgenutzt, aber sie war nicht dumm. Wenn er sie
nicht gänzlich auf seine Seite zog, könnte sie ihm noch gefährlich werden.
Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust.
»Ach, Clara«, stöhnte er auf, »was haben wir beide nicht schon alles
miteinander erlebt.«
»Du musst es ihr sagen!«
Theobald griff nach ihrer Hand. » Was soll ich ihr sagen?
Dass du die Dame meines Herzens bist?«
Clara wurde kreidebleich. Theobald drückte ihre Hand fester und
rückte ihr so nah, dass sie die Muskeln seines Oberschenkels an ihrem Bein
spürte. »Verzeih«, flüsterte er, »ich habe dir großes Unrecht zugefügt, doch du
hast es mir nie vergolten. Dafür danke ich dir.« Er legte einen Arm um ihre
Schultern. »Es steckt solch eine Fülle von Liebe in dir.«
Seine Stimme schien wie aus einer
anderen Welt zu kommen. Die Wirkung des Schlags vom Weinberg verflog. Claras
Erinnerung an ihr Traumgesicht kehrte augenblicklich zurück. Mit einem Mal
wurde es in der Klosterhalle sehr kalt. Clara presste die Zähne aufeinander, um
sie am Klappern zu hindern. Wie tückisch Satan mit den Herzen spielt, dachte
sie, schüttelte Theobalds Hand von ihrer Schulter ab, erhob sich und sprach mit leicht zitternder Stimme: »Es ist eine ganz
andere Liebe, als die, von der du sprichst und singst. Und diese
Liebe zwingt mich jetzt, unserer
Herrin das mitzuteilen, wozu dir der Mut fehlt.«
Theobald sprang auf und fasste Clara fest an den Schultern.
»Halt ein!«, rief er und dachte, ich hätte fester zuschlagen
sollen, sehr viel fester. »Ich habe dich angelogen«, sprach er hastig. »Um dich
zurückzulocken. Nichts ist geschehen. Dem König geht es gut.«
»Dem König geht es vorzüglich«, ertönte eine klangvolle Stimme
hinter ihnen.
Mit strahlendem Lächeln trat die Königin an den Tisch. Theobald zog seine Hände von Claras Schultern
zurück. Blanka drohte spielerisch mit einem Finger.
»Verdreh meiner Clara nicht den
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