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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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atmete tief durch und sah zu, wie der Graf von Champagne
     mit seinem Gefolge im strömenden Regen durchs Tor ritt. Kein Bürgermeister
     dürfte je dankbarer über eine Amtsenthebung gewesen sein.
    Ursprünglich hatte Theobald vorgesehen, in einem Stadthaus Quartier
     zu nehmen, da das Palais der königlichen Familie vorbehalten war, aber nach
     diesem Affront ließ er seine Banner vor dem Schloss aufstellen.
    Er schob die Wachen beiseite und stürmte hinein.
    Der Kämmerer trat ihm in den Weg.
    »Ihr seid hier nicht willkommen, Graf«, beschied er ihm kühl und hob
     eine Hand.
    »Das ist mein Haus!«, tobte Theobald. Er strich sich die
     triefenden Haare aus der Stirn und sah mit wildem Blick zur Treppe, die zu den
     herrschaftlichen Gemächern führte. Der Kämmerer versperrte ihm den Weg.
    »Derzeit ist es die Residenz der Königin.«
    »Ich verlange die Herrin augenblicklich zu sprechen!«
    Der unbewaffnete Kämmerer blickte auf Theobalds Leibwächter, die
     sich in einer Reihe hinter ihm aufgestellt hatten und bedrohlich mit ihren
     Schilden klirrten.
    Theobald holte tief Luft.
    »Herrin!«, brüllte er, so laut er es nur vermochte. »Frau Königin,
     zeigt Euch!«
    Der Ruf schallte durchs ganze Palais. Er drang auch in das Gemach,
     in das sich Clara vor dem ganzen Trubel zurückgezogen hatte. In jene Kammer, in
     der sich Blanka drei Jahre zuvor für die eigene Krönung hatte verschönern
     lassen und in der Theobald nach den Feierlichkeiten über Clara hergefallen war.
    Einen kurzen Augenblick vermeinte
     Clara, Theobalds Stimme selbst heraufbeschworen zu haben, denn soeben
     hatte sie an ihn gedacht und sich gefragt, ob sich die Wände des Gemachs wohl
     zu erinnern vermochten. Sie sprang von dem Stuhl auf, über den sie drei Jahre
     zuvor die gewaschene Kleidung des Grafen gehängt hatte, und öffnete eilig die
     Tür.
    Im Flur wäre sie fast mit Blanka zusammengestoßen.
    »Verrat!«, zischte die Königin. »Man hat ihn gegen mein
     ausdrückliches Verbot eingelassen. Und da wagt es dieser Unselige auch noch,
     hier im Palais zu erscheinen!«
    Sie stellte sich an den Treppenabsatz und rief hinunter: »Ich
     befehle, die Banner des Grafen von Champagne auf die Straße und den Grafen
     selbst aus dem Palais zu werfen. Jagd alle seine Bediensteten fort! Sollte
     sich der Verräter jemals wieder bei Hof sehen lassen, wird er der
     Majestätsbeleidigung angeklagt!«
    Sie öffnete die ihr nächste Tür. Der gewaltige Knall, mit dem sie
     diese, ohne in den Raum einzutreten, gleich wieder zustieß, war auch unten in
     der Halle zu vernehmen.
    Theobald war nicht mehr zu halten. Er rannte den Kämmerer um und
     stürzte, gleich zwei der steilen Steinstufen auf einmal nehmend, die Treppe
     hinauf.
    Überall öffneten sich Türen. Ohne sich um die vielen herbeieilenden
     Menschen zu bekümmern, warf sich Theobald vor Blanka auf die Knie und flehte:
     »Herrin, hört mich an! Ich bin zu Eurer Rettung da!«
    Ohne ihm auch nur einen Blick zu schenken, wandte sich Blanka um und
     schritt fort.
    »Werft den Hund zu seinesgleichen in die Gosse«, bemerkte sie mit
     gelangweilter Stimme.
    Wachen packten den Grafen an den Schultern und warfen ihn die Treppe
     hinunter. Clara eilte hinterher.
    Unverletzt rappelte sich Theobald auf halber Treppe auf. Er blickte
     in hellgraue Augen, die ihn besorgt musterten.
    »Ja, Clara, das sind wir wohl, ihre Hunde«, bemerkte er leise. »Man
     hätschelt und man schlägt uns. Das habe ich mir lange genug gefallen lassen.
     Jetzt ist Schluss!« Laut rief er nach oben: »Wie es Euch gefällt, wird am
     Hof gebellt. Ihr habt mich rausgeschmissen? Von nun an wird gebissen!«
    Hämisch lachend wandte er sich an seine Männer, die mit den Händen
     am Schwertknauf den Bewaffneten der Königin drohend gegenüberstanden.
    »Kommt, wir verlassen dieses ungastliche Haus. Wir haben Wichtigeres
     zu tun, als ein Kind zu begaffen, das morgen von der schweren Krone Frankreichs
     niedergedrückt werden wird. Wichtigeres, als einer Königin zu huldigen, die
     dies nicht zu würdigen weiß. Aus dem Weg!«, herrschte er die königlichen
     Wachen an, die sich ihm zögernd wieder genähert hatten.
    Er bewahrte Haltung, bis er vor der Tür stand und auf die gräflichen
     Banner blickte, die verknittert und besudelt im dreckigen Schlamm der Straße
     lagen. Der Regen hatte nachgelassen und das Gewitter sich verzogen, aber in ihm
     wütete ein Sturm. Er ballte die Fäuste. Verräter hatte sie ihn genannt!

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