Die Kathedrale der Ketzerin
sollten, um sich der
Unterstützung des englischen Königs für den Aufstand gegen den neuen König und
seine Mutter zu versichern.
Lisette sah er als angenehmen Zeitvertreib, aber die Freude am
Abbild war jetzt der Aussicht auf Eroberung des Originals gewichen. Natürlich
hätte er die Kopie gewissermaßen zerreißen können, aber davor schreckte er
zurück. Eine unzulässige Herausforderung des Schicksals, dachte der Troubadour,
möglicherweise die Herstellung eines Omens mit bösen Folgen. Seiner Herrin Blanka
durfte schließlich keinesfalls etwas zustoßen.
Er konnte Lisette auch nicht einfach auf die Straße werfen und nach
Paris zurückschicken. Da zu viele der edlen Trauergäste das Angesicht der
Königin aus der Nähe kannten, könnte dies unterwegs zu gefährlichen
Missverständnissen führen und Blanka schaden.
Er hatte Lisette nach ihrem Mann befragt und erfahren, dass dieser
in irgendeine Mission Richtung Süden aufgebrochen sei. Daraufhin hatte er
Späher losgeschickt, die nichts über einen nach Süden reisenden Steinmetz
Antoine in Erfahrung hatten bringen können. Er entsann sich Blankas Pilgerreise
nach Rom, und langsam formte sich ein Gedanke in seinem Kopf: Er könnte
Lisette in dunkler Pilgertracht gen Süden schicken. Natürlich würde er sie für
ihre Dienste reichlich entlohnen, damit sie sich in der Fremde ein neues Leben
aufbauen konnte.
Theobald blickte nach oben. Die Sonne hatte sich verdunkelt. Das
Unwetter konnte jeden Augenblick losbrechen. Seinem Pferd die Sporen gebend,
galoppierte Theobald auf die Stadt zu.
Sobald das Banner des Landesherrn in Sichtweite der Torhüter kam,
musste das Stadttor natürlich unverzüglich geöffnet werden. Ein Blitz zuckte.
Erste schwere Tropfen fielen, als Theobald vor der Stadtmauer sein Ross
zügelte. Das Tor blieb verschlossen.
Ärgerlich ob dieser scheinbaren Nachlässigkeit, ließ der Graf von
Champagne seine Mannen an das Tor pochen. Mit wütender Stimme forderte er
Einlass. Seine gute Laune war verflogen. Ausgerechnet an jenem Tag, an dem er
triumphierend in sein ureigenes Reims einreiten und der Königin zeigen wollte,
wie sehr ihn seine Bürger liebten, wurde das Tor von Schwachköpfen bewacht, die
ihn im Regen stehen ließen! Er musste mit
dem Bürgermeister mehr als nur ein ernstes Wörtchen reden!
Dazu bot sich augenblicklich Gelegenheit. Gleichzeitig mit dem
ersten himmlischen Donnerschlag öffnete sich die kleine Pforte im Tor, und mit
gesenktem Haupt trat jener Maire hinaus, den Theobald wenige Wochen zuvor
selbst eingesetzt hatte. Ein tüchtiger Mann, der in der Lage sein sollte,
anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten nicht nur in der Stadt für Ordnung und
Straßenschmuck zu sorgen, sondern auch für einen angemessenen Empfang der
vielen zu erwartenden Ehrengäste. Und vor allem natürlich des Landesherrn!
»Sind die Scharniere eingerostet?«, fuhr ihn Theobald ohne Vorrede
an.
Der Bürgermeister verneigte sich tief vor seinem Herrn.
»Verzeiht, edler Herr Graf«, murmelte er.
Theobald sprang von seinem Pferd. Regen peitschte ihm ins hochrote
Gesicht.
»Lauter, Maire, ich verstehe dich nicht!«
»Herr Graf, die Frau Königin hat Befehl gegeben, Euch nicht in die
Stadt zu lassen. Ihr seid dort nicht erwünscht. Es tut mir leid.«
Theobald benötigte einige Augenblicke, um die schnell
hervorgesprudelten Worte aufzunehmen.
»Wiederhole das!«, befahl er dem sich windenden Bürgermeister.
Der unglückliche Mann sagte sein Sprüchlein noch einmal auf und fiel
dann vor Theobald auf die Knie.
»Sagt, Herr Graf, was soll ich machen? Ihr habt Stadtverbot. Die
Königin …«
»… soll es mir höchstselbst sagen«, beendete Theobald voller Grimm
den Satz. »Niemand, auch nicht die Frau Königin, kann mir verwehren, in eine
meiner Städte einzureiten!« Er wandte sich an seine Begleiter: »Männer,
brecht das Tor auf!«
Der Bürgermeister sprang auf, rang die Hände und öffnete den Mund,
brachte aber kein Wort hervor. Der Befehl der Königin stand über dem des
Landesherrn, aber in wenigen Tagen würde die edle Frau fort und er dem Zorn des
Grafen ausgesetzt sein. Ganz gleich, wie er sich entschied – er war
zweifelsohne des Todes.
»Herr Graf, was soll ich nur machen!«, jammerte er.
Theobald schenkte ihm keinen Blick. »Nichts kannst du mehr machen«,
schnauzte er ihn an. »Gar nichts. Du bist hiermit abgesetzt!«
Der Maire
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