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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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ähnlich
er doch seinem Vater sah! Jenem Knaben, den Blanka sechsundzwanzig Jahre
zuvor an einem kalten Wintertag zum ersten Mal gesehen und auf den ersten Blick
geliebt hatte. Der mit ihr zusammen erwachsen und ausgebildet worden war. Dem
sie zwölf Kinder geboren hatte. Seinem Nachfolger, Ludwig IX .,
sollte jedoch keine Zeit zum allmählichen Reifen, zum spielerischen Aufwachsen,
zum Erlernen des Regierens vergönnt sein. Am Vortag war der Knabe zum Ritter
geschlagen worden und galt durch diese Schwertleite als erwachsen, sechs Jahre
vor der ansonsten frühstmöglichen Zeit.
    Nachdem der kleine König auf Kopf, Schultern, Brust, Armen und
Händen gesalbt und mit der violetten Tunika und dem Königsmantel bekleidet
worden war, setzte ihm der Bischof die viel zu große Krone aufs Haupt.
    Dann kam der Akt, vor dem sich Blanka am meisten fürchtete. Alle
mächtigen Barone des Reichs sollten als symbolisches Zeichen ihrer Treue zum
König eine Hand auf die Krone legen. Spätestens jetzt würden alle in der Kirche
die Abwesenheit einiger der bedeutendsten Edlen bemerken. Blanka verfluchte nun
die Unbeherrschtheit, mit der sie den wichtigsten Vasallen des Königreichs, den
Grafen von Champagne, fortgejagt hatte. Gerade er, den schon seines Gesanges
wegen so viele Menschen kannten und trotz aller bösen Gerüchte schätzten,
gerade er hätte jetzt neben ihrem Sohn stehen und seine Hand schützend über ihn
halten sollen! Ausgerechnet Theobald hatte sie in die Arme von Ludwigs
Feinden getrieben! Ja, er hatte ihren Gemahl in Avignon im Stich gelassen,
aber seine Treue ihr gegenüber war niemals ins Wanken geraten. In diesen bösen
wetterwendischen Zeiten wäre er ein mächtiger Bundesgenosse gewesen. Sie hätte
ihn streng maßregeln und wieder in Gnaden aufnehmen sollen. Aber dazu war es
jetzt zu spät.
    Sogar die Treuebekundung der Vasallen, die sich am Altar um den
König geschart hatten, wirkte von Blankas Warte aus bedrohlich; als griffen
viele Hände begierig nach der Krone. Das schmächtige Kind im Kreis der Barone
war Blankas Augen entzogen. Sie betete, niemand möge zu fest auf die Krone
drücken. Zweifellos würde diese dann den schmalen Kopf hinuntergleiten und als
Halsfessel auf Ludwigs Schultern landen.
    »Freue dich, du glückliches
Frankreich«, schwoll der Gesang wieder an, der schon bei Ludwigs Eintritt in
die Kathedrale erklungen war, der Königszug, ein zu diesem Anlass komponiertes
Musikstück. Blanka fragte sich, wie viel Grund zur Freude es wirklich gab –
angesichts so vieler Gegner; jene im Süden Frankreichs, jene lauernden
Verwandten in England, jene in der Champagne und auch jene im renitenten
Flandern. Das Königshaus sollte sich so schnell wie möglich mit allen
versöhnen, mit denen es sich überworfen hatte, hochrangige Grafen aus der
Gefangenschaft entlassen, sie sich verpflichten und künftig erheblich
großzügiger mit der Vergabe von Lehen umgehen.
    Nur zu bedauerlich, dass Herzog Peter von Bretagne, den man Mauclerc
nannte, nicht auf ihre Seite zu ziehen war. Dieser Mann hatte einen
unverschämten Ehrgeiz. Er glaubte sogar, über eine uneheliche Verbindung Recht
auf die französische Krone geltend machen zu können. Und hatte gerade erst
seine Tochter Yolanthe mit König Heinrich III . von
England verlobt. Diese Ehe musste auf jeden Fall verhindert werden.
Kundschafter hatten Blanka darüber unterrichtet, dass sich Graf Theobald von
Champagne derzeit auf dem Weg zu Mauclerc befand. Es bedurfte keiner großen
Einbildungskraft, um sich auszumalen, was die Herren miteinander zu besprechen
hatten.
    Blanka würde schnell handeln müssen. Davor fürchtete sie sich am
wenigsten. Ihre Stärke lag darin, Zusammenhänge schnell zu begreifen und rasch
tätig zu werden.
    Als König Ludwig mit der kleineren Krone auf dem Kopf unter den
begeisterten Jubelrufen der Menge aus der Kirche trat und auf sein Pferd
gehoben wurde, kam heftiger Wind auf.
    Der Vorbote eines ungemütlichen Winters, dachte Clara, die zwar
weitab stand, der aber dennoch die Einsamkeit der zierlichen Königin inmitten
ihres Hofstaats ans Herz griff.
    Ich darf sie jetzt nicht allein lassen.
    Februar 1227
    L udwig überließ seiner Mutter das Regieren und stürzte
sich aufs Studieren. Blanka bestand darauf, ihn in so kurzer Zeit wie nur
möglich das Handwerk des Herrschens erlernen zu lassen. Dazu gehörte auch, alle
Winkel seines Reichs kennenzulernen.
    Nachdem sie einige im Gefängnis sitzende frühere Gegner des
Königshauses

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