Die Kathedrale der Ketzerin
hielt
sich eine Hand vor den Mund, als könnte er das Gesagte zurückstopfen.
Theobald wandte sich belustigt um und erhob sich ebenfalls.
»Jetzt, mein lieber Mauclerc«, sagte er übermütig, »zeige ich dir,
wie ich vorhabe, mit unserer Königin künftig umzugehen.«
Er schritt auf Lisette zu. Als sie verschreckt vor ihm zurückwich,
packte er sie um die Mitte und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. Dann griff
er der verblüfften Frau mit einer Hand in den Ausschnitt und fuhr mit der
anderen unter das geschlitzte Kleid.
»Vergiss, was ich zuvor gesagt habe«, raunte er ihr zu. »Heute Nacht
wirst du zur Abwechslung mal meine Königin sein!«
Irgendwie musste er das Gelingen seines Plans feiern. Blanka war
endlich frei, und niemand würde seine Champagne verwüsten. Gründe genug, sich
hemmungslos zu betrinken, ein paar schöne Verse zu ersinnen und sich weiteren,
lange vermissten fleischlichen Freuden hinzugeben. Lisette mochte zwar nur ein
Abbild Blankas sein, aber vorerst sollte das genügen. Schließlich trank er in
der Herberge auch schlechteren Wein als den, an den er sonst gewohnt war.
»Ein weiches Weib zum Zeitvertreib entfacht Gelüste auf and’re
Brüste«, sang er vergnügt, als er Lisette an den Tisch führte und auf seinen
Schoß setzte.
Da erst erkannte Mauclerc, dass er auf ein Ebenbild hereingefallen
war. Er fragte sich, wie oft das Königshaus seine Untertanen mit dieser
vorzüglichen Kopie genarrt haben mochte. Gab es etwa auch ein Abbild des
Königs? Würden Sänger demnächst die wundersame Heilung des tot geglaubten
Monarchen in die Welt hinausposaunen? Blanka traute er alles zu. Auch, dass
sie zur Erhaltung ihrer Macht neben einer Imitation thronte.
Noch vor der Ankunft in Paris kam Blanka das Gerücht zu
Ohren, der Graf von Champagne müsse ihren Gemahl vergiftet haben. Sie hegte
mehr als nur Groll Theobald gegenüber, aber diese üble Nachrede mochte sie dann
doch nicht auf ihm sitzen lassen.
»Wir beide wissen besser als jeder andere, dass der Graf von
Champagne Ludwigs Tod nicht verschuldet haben kann«, sagte Blanka, die auf
ihrem Zelter neben Clara ritt. Den Reisewagen hatte sie ihren Kindern
überlassen.
Clara war anderer Ansicht, aber sie schwieg – und dachte an die alte
Katharerin in Macôn, die sie davor gewarnt hatte, Schicksal zu spielen.
Wütend drückte Blanka die Fersen in die Flanke des Tieres. »Und doch
darf ich ihn nicht entlasten. Denn dann hätte ich einiges zu erklären. Den
Betrug mit Lisette würde mir mein Volk niemals verzeihen. Ebenso wenig wie die
königlichen Berater meine heimliche Reise. Noch dazu in Begleitung Theobalds,
der bei Ludwig in Ungnade gefallen war. Was soll ich nur machen, Clara?«
»Nichts«, antwortete Clara tonlos. »Gegen Verleumdungen kann man
nichts machen; sie führen ein Eigenleben. Damit kenne ich mich aus.«
»Ja, du und deine …« Blanka zügelte ihr Pferd und sog die Luft tief
ein. »Bleib stehen«, befahl sie Clara mit scharfer Stimme. Clara gehorchte und
musterte ihre Freundin verwundert.
»Damit kennst du dich aus!«, zischte Blanka. »Du und deine
Leute …«
»Worauf willst du hinaus?«
»… kennen sich mit Gift aus. Wer es dem Körper entziehen kann,
vermag es ihm auch zu verabreichen! Jetzt weiß ich, wer schuld an Ludwigs Tod
ist: Deine Ketzer haben ihn vergiftet!«
Den letzten Satz schrie sie laut heraus.
Ein Zittern durchfuhr Claras Körper.
»Blanka, du weißt nicht, was du sagst! Wie sollte ein Fremder,
zudem noch ein verfolgter Katharer, Zugang zu Ludwigs Speisen und Getränken
gefunden haben?«
»Wie wohl? Durch Zauberei natürlich!« Sie funkelte Clara an.
»Welch eine Schamlosigkeit, mir auch noch ein Gelübde abzunötigen …«
»… das du nicht eingehalten hast«, entfuhr es Clara.
»Die Ketzer sind Ludwigs Mörder!«
»Katharer töten kein Lebewesen!«
»Dafür bist du ja ein glänzender Beweis!«
Bleich geworden erwiderte Clara: »Ich habe genau wie du auch ein
Gelübde gebrochen.«
»Aber ich hatte einen guten Grund dafür! Und jetzt ist noch ein
unglaublich schwerwiegender hinzugekommen!«, fuhr Blanka auf. Im selben
Atemzug verfluchte sie ihre Voreiligkeit und bereute die Heftigkeit ihrer Äußerung.
Schließlich hatte Clara ihr mit dem Bruch des eigenen Gelübdes das Leben
gerettet. Mit versöhnlicherer Stimme fügte sie also an: »Ich werde sogleich
einen Boten zum Heiligen Vater nach Rom schicken und ihn bitten, mich meines
Gelübdes zu entbinden.« Sie konnte sich eines
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