Die Katze, die für Käse schwärmte
Mittelalter?«
»Erstaunlicherweise hielt sich dieser Aberglaube bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Und wußten Sie, daß sich die Wissenschaftler heftig darüber stritten, ob ein Pilz eine Pflanze oder ein Tier ist?«
Als sie zur Küche zurückgingen, sagte er: »Diese Shiitake-Zucht klingt nach sehr viel Arbeit, wenn man an all Ihre anderen Aktivitäten denkt.«
»Oh, ich habe ein wenig Hilfe«, winkte sie ab.
Während sie die Shiitake-Pilze sautierte, sah sich Qwilleran ihre umfangreiche Sammlung von Büchern an, die alle mit Essen zu tun hatten: Larousse, Escoffier und Brillat-Savarin, sowie Kochbücher über die Küche aller Herren Länder und Rezeptsammlungen berühmter Köche. Er fragte sich, wie eigenständig ihr eigenes Kochbuch sein würde und wie viele Plagiate unter den Kochbuchautoren kursierten. Bevor er Gelegenheit hatte, sich die Bücher genauer anzusehen, bat sie ihn zu Tisch, und er kostete die besten Pilze, die er je gegessen hatte.
Später erstattete er Polly während ihres Spaziergangs ausführlich Bericht. »Nach fünf Minuten mit der Enzyklopädie und einer Stunde mit Elaine Fetter bin ich jetzt Pilzexperte. Ich weiß, daß ein Pilzkopf Pyleus heißt, die Pilzfäden werden Hyphen genannt und ihre Gesamtheit Myzel. Und es gibt drei Arten von Shiitake-Pilzen, von denen eine Koko heißt.«
»Ich bin überwältigt von deiner Bildung«, sagte Polly. »Was hältst du von Elaine?«
»Nun, ich bin beeindruckt von ihrer Energie und ihren Fachkenntnissen und ihrer Sammlung von Kochbüchern, aber…« Er klopfte sich auf seinen Schnurrbart. »Ich habe so ein leises Gefühl, daß sie mir nicht die volle Wahrheit gesagt hat. Ich habe im Laufe meiner Berufstätigkeit so an die vierzigtausend Leute interviewt, und ich spüre es, wenn sie etwas zurückhalten – oder lügen.«
»Hat sie ihren Sohn erwähnt?«
»Nein, das Gespräch drehte sich ausschließlich um Pilze und um ihre Aktivitäten. Sie hat nicht mal die Auktion erwähnt, dabei ist sie diejenige, die sich den Bürgermeister geschnappt hat. Was ist mit ihrem Sohn?«
»Donald lebt bei ihr. Er hat bei einem Unfall, bei dem ihr Mann ums Leben kam, das Auto gelenkt und ist jetzt ziemlich stark behindert. Er ist an den Rollstuhl gefesselt, und die Shiitake-Zucht ist seine Therapie, die ihm einen Lebensinhalt gibt.«
»Hmmm… jetzt sehe ich die Geschichte in einem anderen Licht«, sagte Qwilleran. »Und es ist sogar eine viel bessere Story – eine Geschichte, die anderen Mut machen kann. Und es erklärt die Rampen und die asphaltierten Wege und warum das Haus so geräumig ist… Was soll ich jetzt machen?«
»Vielleicht hätte ich es dir nicht erzählen sollen.«
»Ich bin froh, daß du es mir erzählt hast – sehr froh! Die Frage ist: Warum hat sie mir diesen Aspekt der Pilzzucht verschwiegen? Meidet Donald wegen seines körperlichen Zustands die Öffentlichkeit? Oder hält ihn seine Mutter unter Verschluß? Will sie die ganze Publicity für sich allein?«
»Gut beobachtet«, sagte Polly. »Sie ist eine sehr stolze Frau mit einem stark ausgeprägten Selbstbewußtsein. Deshalb kommt sie auch nicht leicht mit anderen freiwilligen Helfern aus. Sie steckt ständig die Anerkennung für Dinge ein, die andere tun… Was wirst du jetzt machen?«
»Die Kolumne zurückhalten, bis ich dem Problem auf den Grund komme.«
»Ich hoffe, du bist dabei taktvoll.«
»Keine Sorge, ich werde dich aus der Sache heraushalten. Aber jetzt sitze ich in der Klemme. Ich hatte den Beitrag für diese Woche vorgesehen, und jetzt muß ich in aller Eile ein neues Thema finden.«
Er lehnte die Einladung, mit Polly und Lynette Tee zu trinken, ab. Er sagte, er müsse ein paar Anrufe erledigen. Er verschwieg, daß ihm nicht nur die Sache mit den Shiitake-Pilzen Sorgen bereitete.
Nach seinem Interview mit Elaine und dem Gespräch mit Polly, das ihm die Augen geöffnet hatte, eilte Qwilleran nach Hause zur Scheune. Er winkte Celia Robinson zu, die gerade vor dem Kutschenhaus aus ihrem roten Auto stieg. Zu Hause angekommen, warf er einen Blick in die alte Truhe neben der Hintertür – leer! Er schloß die Tür auf und ging, ohne auch nur ein Wort mit den Katzen, die ihn begrüßten, zu sprechen, schnurstracks zum Telefon. Er rief Celia an.
»Hallo, Boß!« rief sie fröhlich wie immer. »Haben Sie schon versucht, mich zu erreichen? Ich war den ganzen Tag unterwegs. Ich habe im Chor gesungen und danach beim Kaffee serviert. Dann hat mich Virginia Alstock zum
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