Die Katze, die hoch hinaus wollte: Roman
Unhörbares hören und Ungeahntes wahrnehmen. Seine Gefährtin, Yum Yum, war ein entzückendes Geschöpf, das Qwilleran schamlos zu bezaubern verstand, indem sie eine Pfote ausstreckte, um seinen Schnurrbart zu berühren, und dabei ihre Augen zusammenkniff und kehlig schnurrte. Die beiden Katzen waren ein schönes Paar mit ihrem sandfarbenen Fell, den dunkelbraunen Abzeichen und den faszinierenden blauen Augen. Was würde jetzt aus ihnen werden? Wo waren sie? Fütterte sie jemand?
Und dann tauchte die entsetzliche Frage auf: Lebten sie überhaupt noch? Waren sie im Auto gewesen, als es ausbrannte?
Ungefähr zwei Wochen bevor der Polizeibeamte aus der Großstadt mit der schicksalhaften Nachricht bei Brodie anrief, hatten Qwilleran und seine beiden Gefährten einen ruhigen Abend zu Hause in Moose County verbracht. Der kräftige, ein Meter neunzig große Mann hatte es sich in dem zweitbesten Sessel gemütlich gemacht und ließ seine Gedanken müßig wandern; die Katzen lagen, wie es ihnen zukam, im besten Sessel, meditierten und sahen edel aus. Als das rauhe Läuten des Telefons den häuslichen Frieden störte, erhob sich Qwilleran nur widerwillig und ging zum Apparat im Nebenzimmer. Es war ein Ferngespräch aus dem Süden unten.
Eine unbekannte Stimme sagte: »Hallo, Mister Qwilleran. Sie erraten nie, wer spricht!... Amberina, von den Drei Schicksalsschwestern in Junktown. Erinnern Sie sich an mich?«
»Natürlich erinnere ich mich an Sie«, sagte er diplomatisch und dachte dabei fieberhaft nach. Die drei Frauen hatten ein Antiquitätengeschäft, doch welche der Schwestern war Amberina? Die überdrehte junge Blondine oder die mannstolle Rothaarige oder die unscheinbare Brünette? »Wie läuft’s im Süden unten?« fragte er. »Ich war schon eine ganze Weile nicht mehr dort – drei Jahre, genau gesagt.«
»Sie würden Junktown nicht wiedererkennen«, antwortete sie. »Das Viertel ist jetzt ›in‹, wie es so schön heißt. Die Leute kaufen die alten Stadthäuser und richten sie her, und wir werden einige erstklassige Restaurants und Antiquitätengeschäfte bekommen.«
»Haben Sie noch Ihr Geschäft?«
»Nein, wir haben es aufgegeben. Irene hat die Kunstschule abgeschlossen und arbeitet jetzt in Chicago. Cluthra hat Geld geheiratet – was sagen Sie dazu? – und ist nach Texas gezogen. Und ich arbeite in einem Auktionshaus. Was ich so gehört habe, hat sich Ihr Leben auch sehr geändert, Mister Qwilleran, mit der Erbschaft und allem.«
»Zu meiner großen Überraschung, ja... Übrigens, haben Sie von der Sache mit Iris Cobb gehört?«
»Mein Gott, war das ein Schock für uns! Als sie noch in Junktown wohnte, war sie so ein Energiebündel.«
»Hat Mary Duckworth noch das Blue Dragon?«
»Aber natürlich! Es ist das beste Antiquitätengeschäft in der Straße – das heißt, das teuerste. Robert Maus hat ein sehr nobles Restaurant aufgemacht, und Charlotte Roop ist dort Geschäftsführerin. Ich glaube, Sie kennen die beiden.«
Warum, so fragte sich Qwilleran, ruft mich diese Frau nach drei Jahren an? Die kleine Pause brachte sie zum Thema.
Amberina sagte: »Mary bat mich, Sie anzurufen, weil sie selbst verreisen mußte. Sie möchte Ihnen einen Vorschlag machen.«
»Nun, dann schießen Sie los!«
»Kennen Sie das Casablanca, das große, alte, weiße Apartmenthaus? Es ist schon recht heruntergekommen, aber es ist ein markantes Wahrzeichen der Stadt.«
»Ich kann mich vage daran erinnern.«
»Es ist ein hohes Gebäude zwischen Junktown und dem neuen Viertel, wo sie die Hochhäuser mit den Büros und Eigentumswohnungen hinbauen.«
»Ja, jetzt weiß ich, welches Sie meinen«, sagte er.
»Nun, um es kurz zu machen, einige Bauunternehmer wollen es abreißen, und das wäre ein Verbrechen! Das Haus ist noch solide gebaut! Und es hat Geschichte gemacht. In Junktown hat sich ein spezielles Komitee gebildet, das sich RUCK nennt – das ›Rettet-unser-Casablanca-Komitee‹.«
»Und ist RUCK denn auch schlagkräftig?« witzelte Qwilleran.
»Eigentlich nicht. Deshalb wenden wir uns an Sie.«
»Was für einen Vorschlag haben Sie denn?«
Sie holte tief Luft. »Das Casablanca war einmal die beste Adresse in der Stadt. RUCK möchte, daß Sie es kaufen und restaurieren... So! Jetzt habe ich es gesagt! Es war nicht leicht.«
Jetzt mußte Qwilleran tief Luft holen. »Moment mal, Amberina. Ich muß da etwas klarstellen. Ich bin kein Finanzier, und ich beteilige mich nicht an Geschäftsunternehmungen. Nichts liegt mir
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