Die Katze, die hoch hinaus wollte: Roman
dabei den Morning Rampage lasen – waren alles Fremde, und sie waren besser gekleidet als die früheren Bewohner von Junktown. Viel hatte sich verändert in den letzten drei Jahren, doch das war wohl typisch für die Zentren von Großstädten. In Moose County änderte sich nie etwas, außer, es wurde von einem Sturm weggeweht. Die Familien waren seit Generationen dort ansässig. Dieselben Kaufleute führten dieselben Läden, und jeder kannte jeden. Nicht nur das, auch die Eier schmeckten im Norden oben besser, und als Qwilleran im Carriage House seine Rechnung zahlte, stellte er fest, daß Rührei mit Schinken in Pickax zwei Dollar weniger kostete.
In einer der Nebenstraßen entdeckte er einen Laden, in dem er einen Zehnpfundsack sterilisierte Streu für das Katzenkistchen kaufen konnte, Dosen mit Gourmetmenüs für Katzen und weißen Traubensaft für Koko – ein weiterer Beweis, daß Junktown jetzt eine bessere Gegend war.
Er gewöhnte sich allmählich an Überraschungen, doch als er zum Casablanca zurückging, sah er auf einem leeren Grundstück auf der anderen Straßenseite, wo eine Häuserzeile abgerissen worden war, ein Schild, das ihn schockierte. Das Schild zeigte den Entwurf eines geplanten Gebäudes, das den Zwinger Boulevard überspannte – eigentlich waren es zwei Türme, die oben durch eine Brücke verbunden waren, in etwa wie die Seufzerbrücke in Venedig.
›Standort des neuen Gateway Alcazar‹, verkündete das Schild. ›Büros, Geschäfte und Hotel. Räumlichkeiten zu vermieten!‹
Einer der beiden Türme stand ganz offensichtlich auf dem Grundstück des Casablanca, und Qwilleran hielt das Ganze für eine bodenlose Frechheit! Er prägte sich den Namen der Firma ein, die das Projekt bewarb: Penniman, Greystone & Fleudd. Er kannte die reichen Pennimans und die Greystones, die sich im öffentlichen Leben stark engagierten, doch den Namen Fleudd hatte er noch nie gehört. Er konnte ihn noch nicht einmal aussprechen.
Im Casablanca wurde gerade eine Tragbahre in einen Rettungswagen gehoben, und Qwilleran erkundigte sich am Tisch der Verwalterin, was los war.
»Ein alter Herr auf Nummer vier hatte einen Herzanfall«, sagte Mrs. Tuttle, als sei das etwas ganz Normales.
»Darf ich meine Einkäufe hierlassen, während ich einen Spaziergang mache?«
»Natürlich«, sagte sie. »Aber seien Sie vorsichtig, wo Sie hingehen. Bleiben Sie auf den Hauptstraßen.«
Qwilleran hatte sich im Norden oben angewöhnt, zu Fuß zu gehen, und so marschierte er Richtung Innenstadt. Er schritt kräftig aus, um die Straßen zu erkunden. Vor ihm erstreckte sich der neue Zwinger Boulevard mit seinen mondänen Gebäuden: Bürotürme aus Glas, die aussahen wie riesige Spiegel, ein Apartmenthaus, das aussah wie eine bewaffnete Festung, das neue Penniman Plaza Hotel, das aussah wie ein Vergnügungspark. Ihm kam der Gedanke, daß der Klingenschoen-Fonds das alles aufkaufen, abreißen und etwas Ansprechenderes hinbauen könnte.
Natürlich war er weit und breit der einzige Fußgänger. Der Verkehr rauschte in Wellen an ihm vorbei. Die Autos schossen auf die nächste rote Ampel zu wie Rennpferde, die vom Start losstürmten. Einmal hielt ein Polizeiwagen neben ihm an. »Suchen Sie etwas, Sir?« fragte ein Polizist.
Hätte Qwilleran gesagt: »Ich denke daran, das alles zu kaufen und abzureißen«, hätten sie ihn in eine geschlossene Anstalt gesteckt, daher zückte er seinen Presseausweis und erzählte ihnen, er schreibe eine Reportage über die Architektur der Innenstädte im mittleren Nordosten der Vereinigten Staaten.
Dann entdeckte er ein Bürohaus mit Geschäften im Erdgeschoß. Dort kaufte er eine Handtasche für Polly, die er als Geschenk verpacken und mit ein paar lieben Zeilen an sie schicken ließ. Es war eine ›Pariser Tasche‹, wie es hieß; so etwas gab es nicht in Moose County, wo eine ›Chicagoer Tasche‹ der letzte Schrei war.
Er ging auch in ein Buchgeschäft mit dem Namen ›Books ’n’ Stuff‹, in dem es mehr Videos und Grußkarten gab als Bücher. Außerdem wurde man von der Supermarktbeleuchtung und der Musikberieselung davon abgehalten, sich in Ruhe umzusehen. Qwilleran hatte seine eigene Vorstellung von der richtigen Atmosphäre eines Buchgeschäfts: es mußte düster, still und leicht verstaubt sein.
Im Zentrum kam er am Gebäude des Daily Fluxion vorbei. Er wäre auch auf einen Schwatz mit den Leuten dort hineingegangen, doch das furchterregende neue Sicherheitssystem im Foyer schreckte ihn ab.
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