Die Katze im Taubenschlag
dass der Entwurf des Baus im Prinzip gut sei, aber fast alle machten gewisse Verbesserungsvorschläge.
Dann sprach man kurz über die neuen Schülerinnen, über die im Allgemeinen ein günstiges Urteil gefällt wurde.
Die beiden neuen Lehrerinnen wurden höflich in die Unterhaltung einbezogen. War Mademoiselle Blanche schon einmal in England gewesen? Aus welchem Teil Frankreichs stammte sie?
Mademoiselle Blanche antwortete ziemlich zurückhaltend.
Miss Springer war da viel zugänglicher.
Sie sprach laut und angeregt, fast als hielte sie einen Vortrag. Thema: Die außergewöhnliche Miss Springer. Ungeheuer beliebt bei ihren früheren Kolleginnen, geschätzt von den Lehrerinnen der verschiedenen Schulen, die ihren Rat stets dankbar annahmen. Feinfühlig war Miss Springer allerdings nicht, und die Ungeduld ihrer Zuhörer entging ihr völlig.
Miss Johnson unterbrach ihren Redestrom mit der Frage: »Und sind Ihre Ratschläge immer in Ihrem Sinn befolgt worden?«
»Mit Undankbarkeit muss man immer rechnen«, erwiderte Miss Springer, und ihre Stimme wurde noch etwas lauter. »Leider sind zu viele Menschen feige und weigern sich, den Tatsachen ins Auge zu blicken. Ich bin da ganz anders. Ich gehe schnurstracks auf mein Ziel zu. Ich habe eine gute Nase, und es ist mir schon mehrmals gelungen, einen Skandal zu wittern und dann auch aufzudecken.« Sie lachte laut und herzlich. »Meiner Ansicht nach muss das Leben eines Lehrers ein offenes Buch sein. Man findet schnell heraus, wer etwas zu verbergen hat. Sie wären erstaunt, wenn ich Ihnen erzählen würde, was ich alles entdeckt habe – Dinge, auf die kein anderer gekommen wäre.«
»Das macht Ihnen wohl Spaß, ja?«, erkundigte sich Mademoiselle Blanche.
»Keineswegs, aber ich halte es für meine Pflicht. Wird leider nicht immer anerkannt. Aus diesem Grund habe ich meinen letzten Posten unter Protest aufgegeben.«
Sie sah sich triumphierend im Kreise um.
»Hoffe, dass niemand hier etwas zu verbergen hat«, sagte sie mit einem fröhlichen Lachen.
Niemand reagierte auf diesen Scherz, aber das fiel Miss Springer gar nicht auf.
»Kann ich Sie einen Augenblick sprechen, Miss Bulstrode?« Miss Bulstrode legte den Federhalter hin und blickte in das erhitzte Gesicht der Hausmutter. »Ja, Miss Johnson?«
»Es handelt sich um Shanda – um die Ägypterin, oder was immer sie sein mag.«
»Ja.«
»Sie trägt… ich meine… sie trägt so sonderbare Wäsche.« Miss Bulstrode zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe.
»Ich spreche hauptsächlich von ihrem Büstenhalter.«
»Inwiefern ist ihr Büstenhalter sonderbar, Miss Johnson?«
»Es ist eben kein gewöhnliches Kleidungsstück. Er hält die Brust nicht zusammen, sondern… sondern schiebt sie, sozusagen, ganz unnötigerweise in die Höhe.«
Miss Bulstrode verbiss sich das Lachen, wie so oft bei einer Unterhaltung mit Miss Johnson.
»Tatsächlich? Gut, ich werde ihn mir ansehen. Gehen wir zu Shanda.«
Während Miss Johnson das anstößige Kleidungsstück in die Höhe hielt und Shanda interessiert danebenstand, entwickelte sich eine ernsthafte Debatte.
»Das Ding besteht hauptsächlich aus Draht und Fischbein«, stellte Miss Johnson missbilligend fest.
Jetzt verteidigte Shanda ihren Büstenhalter erregt und energisch.
»Mein Busen ist nicht sehr groß – nicht stark genug. Ich sehe nicht aus wie eine Frau!«
»Damit können Sie getrost noch ein Weilchen warten«, versetzte Miss Johnson. »Sie sind doch erst fünfzehn Jahre alt.«
»Mit fünfzehn ist man eine Frau! Seh ich nicht aus wie eine Frau?«
Sie sah Miss Bulstrode Hilfe suchend an.
Miss Bulstrode nickte mit ernstem Gesicht.
»Aber mein Busen ist dürftig – leider –, und ich muss eben ein bisschen nachhelfen, verstehen Sie?«
»Natürlich verstehe ich das«, erwiderte Miss Bulstrode, »aber Sie sind hier in einer englischen Schule, und die meisten englischen Mädchen sind mit fünfzehn Jahren noch keine erwachsenen Frauen. Ich lege Wert darauf, dass sich meine Schülerinnen diskret und ihrem Alter entsprechend kleiden. Ich würde vorschlagen, dass Sie Ihren Büstenhalter nur tragen, wenn Sie nach London fahren oder auf eine Gesellschaft gehen, aber nicht in der Schule. Wir treiben viel Sport und müssen uns zu diesem Zweck leicht und praktisch anziehen. Der Körper darf auf keinen Fall eingeschnürt werden.«
»Mir ist das alles zu viel – das Rennen und Springen«, klagte Shanda. »Am schlimmsten sind diese Freiübungen, und ich mag Miss
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