Die Katze
Platz. Die Möbel standen wie immer: zwei große Rattansessel gegenüber dem beigefarbenen Sofa auf dem Sisalteppich; eine von oben bis unten mit Bücherregalen bedeckte Wand, die so vollgestopft
war, dass weitere Bücher sich auf dem Boden reihten; die Fotos ihrer Kinder auf dem Kaminsims hinter dem Sofa und der Tisch vor dem zur Straße hinausgehenden Erkerfenster. Nichts schien zu fehlen. »Wie bist du überhaupt reingekommen?«
»Ich hab meinen Schlüssel benutzt.«
»Woher hast du einen Schlüssel?«
»Du hast mir einen gegeben.«
»Nie im Leben«, widersprach Charley.
»Doch«, beharrte Bram. »Als ich babygesittet habe …«
»Erstens hast du noch nie gebabysittet«, unterbrach Charley ihn, »und zweitens habe ich dir nie einen Schlüssel gegeben.«
»Okay, dann hab ich vielleicht einen Ersatzschlüssel rumliegen sehen, als ich das letzte Mal zum Abendessen hier war«, gestand er mit einem einfältigen Grinsen.
»Du hast meinen Ersatzschlüssel mitgenommen? Den habe ich tagelang gesucht.«
»Du hättest mich fragen sollen.«
»Warum sollte ich dich fragen?«
»Weil ich ihn hatte.« Er lächelte.
»Das macht dir Spaß, was?«
Sein Lächeln wurde breiter. »Ja, doch.«
Charley hätte ihm am liebsten die Vase mit den Seidentulpen an den Kopf geworfen. »Gib mir den Schlüssel sofort zurück.«
»Ach, komm schon, Schwesterchen.«
»Schwesterchen? Seit wann nennst du mich Schwesterchen? Komm mir nicht mit diesem ›Schwesterchen‹-Scheiß.«
»Weißt du eigentlich, dass du ein bisschen lispelst?«, neckte Bram sie. »Ich glaube, das kommt vom Schreien. Brüllst du deine Kinder eigentlich auch dauernd so an wie mich?«
»Ich brülle meine Kinder nie an.«
»Nicht? Also, als du hier reingekommen bist, hast du jedenfalls gebrüllt. Worum ging es da eigentlich?«
»Was?« Charley schüttelte den Kopf, als wollte sie ihn sich zurechtrücken. Ihr Bruder hatte es schon immer meisterhaft verstanden, sie völlig aus dem Konzept zu bringen.
»Wenn ich mich recht erinnere, könnte das Wort Arschloch über deine Lippen gekommen sein.«
»Ach das. Mein blöder Nachbar.« Charley ließ sich in einen der Rattansessel fallen und legte die Füße ebenfalls auf den Couchtisch, sodass ihre nackten Zehen beinahe die Spitzen der schwarzen Stiefel ihres Bruders berührten. »Er renoviert, falls dir das Chaos nebenan nicht aufgefallen sein sollte. Und er hat sich fürchterlich aufgeregt, als die Nachbarn nicht mit allen baulichen Veränderungen einverstanden waren, die er geplant hatte …«
»›Die Nachbarn‹ heißt du?«
»Ich war eine von ihnen. Er hatte einen riesigen zweistöckigen Anbau geplant, der mir sämtliche Sonne im Garten genommen hätte …«
»Ich meine mich zu erinnern, in der Zeitung etwas über unsensible Anwohner gelesen zu haben, die, langjährige Gemeindeverordnungen missachtend, gewachsene alte Viertel zerstören.« Bram verschränkte die Hände hinter dem Kopf und gab vor zu überlegen. »Wo könnte das bloß gewesen sein?«
»Okay, vielleicht habe ich in meiner Kolumne etwas in der Richtung erwähnt, aber die ganze Straße war empört. Nicht bloß ich. Außerdem, was vorbei ist, ist vorbei. Ich hab es schon fast vergessen. Möchtest du etwas Kaltes zu trinken?« Charley sprang auf und eilte in die weiß-braune Küche auf der Rückseite des Hauses.
»Einen Gin-Tonic?«, fragte Bram hoffnungsvoll.
»Vergiss es. Wie wär’s mit einem Orangensaft?«
»Wie wär’s mit einem Bier?«
»Wie wär’s mit einem Orangensaft?«, wiederholte Charley.
»Ich glaube, ich nehme einen Orangensaft«, sagte Bram.
»Gute Wahl.« Charley goss ihnen beiden ein Glas ein und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
»Und warum sollte er dir die Schuld dafür geben, dass seine Frau abgehauen ist?«, fragte Bram.
Charley brauchte einen Moment, ehe sie begriff, dass er immer noch von Gabe Lopez sprach. »Glaub mir, damit hatte ich nichts zu tun.«
»Gar nichts?«
»Ich habe in meinem ganzen Leben nicht mehr als zwei Worte mit der Frau gewechselt.«
»Und diese beiden Wörter waren nicht zufällig ›verlass ihn‹?«
»Sehr komisch. Du hast echt deine Berufung verpasst, weißt du das?«
Bram trank einen großen Schluck Orangensaft und verzog das Gesicht. »Irgendwas fehlt, so viel ist sicher. Ein Schuss Wodka wäre gut.«
Charley seufzte. »Was machst du nur, Bram? Was ist los mit dir?«
»Ach, komm, Charley. Fang nicht wieder an.«
»Du bist viel zu intelligent, um dein Leben so wegzuwerfen.«
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher