Die Katze
bin erst vierundzwanzig«, erinnerte er sie. »Und so intelligent bin ich auch nicht.«
»Du hast mir erzählt, dass du eine Entzugstherapie machen wolltest. Du hast gesagt, du gehst zu den Anonymen Alkoholikern. Du hast es mir versprochen.«
»Und das werde ich auch.«
»Wann?«
»Irgendwann.«
»Bram …«
»Komm schon, Charley. Meinst du, es gefällt mir, auf dem Sofa eines Fremden aufzuwachen? Aber so fühlst du dich wahrscheinlich auch oft, wenn ich’s mir recht überlege.«
Charley verdrehte die Augen. »Das war nicht sehr witzig.«
»Ich krieg mich schon wieder in den Griff.«
»Dann fang mit deinem Mundwerk an.«
»Autsch. Ich hab wohl einen wunden Punkt getroffen.«
»Ich bin kein Flittchen, Bram.« Charley trat ans Fenster und beobachtete, wie der junge Mann mit dem gelben Helm über eine Leiter auf das Dach ihres Nachbarn stieg. »Bloß weil ich zwei Kinder von zwei verschiedenen Männern habe, hüpfe ich noch längst nicht mit jedem ins Bett.«
Aber was kann man schon von einer Frau erwarten, die stolz darauf ist, keinen der Väter ihrer beiden Kinder geheiratet zu haben?
»Tut mir leid. Ich wollte nicht andeuten …«
»Natürlich wolltest du das.«
Natürlich wolltest du das , hörte sie im Kopf die Stimme ihrer Mutter wie ein Echo.
»Hey, ich wollte dich nur pieksen«, sagte ihr Bruder und trank noch einen Schluck Orangensaft. »Ich hab bloß versucht, von mir abzulenken.«
Charley beobachtete, wie ein kleiner gelber Schulbus um die Ecke bog und vor ihrem Haus hielt. »Die Kinder sind da.« Sie atmete tief durch und öffnete die Haustür. »Streng dich an, in ihrer Gegenwart nichts Blödes zu sagen.«
»Ja, Dad«, hörte sie Bram murmeln.
Schuldbewusst erinnerte sie sich daran, wie ihr Vater immer mit seinem Sohn gesprochen hatte. Ihr wurde bewusst, dass Bram recht hatte. Sie klang genau wie ihr Vater. »Tut mir wirklich leid, Bram. Ich wollte nicht …«
»Mommy!«, rief James, sprang aus dem Bus, ein einziges Bündel aus Grübchen, Haaren und beweglichen Teilen. Selbst als er am Rand des Bürgersteigs auf seine Schwester wartete, stand er keine Sekunde still, sondern hatte die rechte Hand zum Winken erhoben, nestelte mit der linken am Bund seiner Khakihose und hüpfte vom linken auf den rechten Fuß, um einen Kiesel aus dem Weg zu kicken, während sein Blick von einem Ende der Straße zum anderen zuckte.
»Hallo, mein Schatz«, rief Charley zurück und wartete, bis Franny von den hinteren Sitzreihen des Busses nach vorne gekommen war. Franny achtete immer darauf, dass der Bus vollständig zum Stehen gekommen war, bevor sie von ihrem Sitz aufstand. Erst dann machte sie sich auf den Weg von hinten zur Tür, wobei sie sich bei jedem Schritt an den Lehnen der anderen Sitze festhielt.
Sie war immer ein sehr vorsichtiges Kind gewesen, dachte Charley, schon als Kleinkind hatte sie sorgfältige Erwägung spontanen Entschlüssen vorgezogen. Charley erinnerte sich, wie oft sie neben ihrer Tochter auf dem Spielplatz gestanden hatte, während Franny versuchte zu entscheiden, welche Schaukel sie wählen sollte. Ihr Bruder war schon ein Dutzend Mal mit dem Kopf voran die riesige Rutsche heruntergerutscht, während Franny immer noch neben der Sandkiste stand. Beim Essen war es das Gleiche. James war im Handumdrehen fertig und zappelte auf seinem Stuhl, nachdem er sein Essen buchstäblich heruntergeschlungen hatte, während Franny noch ihre ersten zögerlichen Bissen nahm. Sie war still und versonnen - das komplette Gegenteil von Charley - und sprach nur, wenn sie etwas zu sagen hatte.
»Sie ist ein sehr nachdenkliches Kind«, hatte ihre Lehrerin zu Beginn des Schuljahres erklärt. »Man kann förmlich sehen, wie sich die Rädchen in ihrem Kopf drehen.«
Das musste sie von der Familie ihres Vaters haben, dachte Charley und sah den vergrübelt attraktiven Mann, der Frannys Vater war, vor sich, während Franny die Hand ihres Bruders nahm, links und rechts schaute und ihn über die Straße führte. Sobald sie den gegenüberliegenden Bürgersteig erreicht hatten, ließ James die Hand seiner Schwester los und rannte den Weg hinauf zu Charley.
»Wir haben heute ein Bild gemalt. Ich hab ein Krokodil und eine Schlange gemalt.«
»Wirklich?«
»Wo ist mein Bild?«, fragte James, als ob sie es wissen müsste. Er fuhr herum. »Oh nein, ich hab es verloren.«
»Ich hab es«, verkündete seine Schwester ruhig, die hinter ihm den Weg heraufkam. »Du hast es im Bus auf den Boden fallen lassen.« Sie
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