Die Katze
umgebunden. »Wir haben uns Mühe gegeben, so wenig Staub wie möglich zu machen«, erklärte der junge Mann. »Wenn es ein Problem gibt …«
»Alles bestens«, versicherte Charley ihm. Bis auf meinen Bruder, meine Mutter, meine Schwestern und die Tatsache, dass ich Hassbriefe bekommen, wollte sie hinzufügen. Oh, und sagte ich schon, dass ich Post von einer verurteilten Mörderin bekommen habe, die möchte, dass ich ihre Lebensgeschichte aufschreibe? »Absolut bestens«, murmelte sie und spürte den Blick des Arbeiters auf ihrem Hintern, als sie den schmalen Betonweg zu ihrer Haustür hinaufging.
»Wenigstens hat es aufgehört zu regnen«, sagte der Mann. Wollte er die Unterhaltung in die Länge ziehen?, fragte Charley sich und blickte in den nach wie vor grauen Himmel, bevor sie sich wieder zu dem Arbeiter umdrehte, der etwa in ihrem Alter und unter seinem gelben Helm ziemlich niedlich war. Sie wandte sich ab, bevor sie eine Dummheit begehen konnte, wie ihn auf einen Drink in ihr Haus einzuladen. Als sie zuletzt einen Mann spontan zu sich nach Hause eingeladen hatte, war er drei Wochen geblieben und hatte ihren Sohn gezeugt. »Was
schätzen Sie, wann Sie fertig sind?«, fragte sie, während sie die Haustür aufschloss.
»Oh, das dauert noch mindestens einen Monat.«
»Dann sieht man sich ja.«
»Darauf können Sie sich verlassen.«
Charley lächelte und entschied, dass sie seine Arroganz beinahe so attraktiv fand wie seine kräftigen Oberarme.
»Was ist denn da los?«, fragte plötzlich eine andere Stimme.
Charley ließ die Schultern hängen. Sie hätte ins Haus gehen sollen, solange sie noch die Gelegenheit hatte. Eine Auseinandersetzung mit einem weiteren angesäuerten Nachbarn war das Letzte, was sie gebrauchen konnte. »Ich hab bloß gefragt, wie die Renovierungsarbeiten vorankommen.« Charley sah Gabe Lopez’ mürrisches Gesicht und wandte sich ab.
»Alles nach Plan.« Er starrte sie aus schwarzen Augen unter buschigen Brauen an. »Und das ist bestimmt nicht Ihr Verdienst.«
»Okay, also …«, sagte Charley und stieß ihre Haustür auf. »… dann viel Glück.« Sie trat ins Haus und schloss die Tür. »Arschloch«, murmelte sie. »Kein Wunder, dass deine Frau dich verlassen hat.« Sie streifte ihre schwarzen Slipper ab und trat mit nackten Füßen von den kalten Fliesen im Flur auf den warmen Holzboden im Wohnzimmer. »Was übrigens nicht meine Schuld war«, rief sie in Richtung Haustür.
»Musst du immer so laut reden?«, fragte ihr Bruder vom Sofa.
Charley stockte buchstäblich der Atem. Sie taumelte rückwärts gegen einen Bambustisch, der an einer elfenbeinfarbenen Wand stand, und hätte dabei fast eine Glasvase mit rot-gelben Seidentulpen umgestoßen. »Mein Gott! Du hast mich fast zu Tode erschreckt. Was machst du denn hier?«
»Du hast gesagt, ich soll dir nach Hause folgen«, erinnerte er sie, streckte seine dünnen Arme über den Kopf und reckte seinen gertenschlanken Körper zu voller Länge, so dass er noch
größer als 1,85 Meter wirkte. Seine Füße berührten den gläsernen Couchtisch.
»Was du nicht getan hast.«
»Nur weil ich eine Abkürzung kannte. Ich dachte, so wäre ich schneller hier. Und das war ich auch. Ich warte schon den ganzen Tag auf dich. Wo bist du gewesen?«
»Ich bin noch mal in die Redaktion gefahren.«
»Schade. Ich dachte, du wärst vielleicht einkaufen gewesen. Weißt du, dass dein Kaffee alle ist?«
Charley schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich fasse es nicht.«
»Doch, es stimmt. Du kannst selbst nachsehen.«
»Ich rede nicht von dem Kaffee, du Schwachkopf.«
»Hey, hey, keine Grobheiten, bitte.«
»Wo ist dein Wagen?«
»Ich hab ihn am Ende der Straße geparkt. Vor dem Haus mit der großen amerikanischen Flagge. Ist das nicht da, wo sie diese Orgien feiern?«
»Es war eine Passion Party«, verbesserte Charley ihn.
»Ist das nicht das Gleiche?«
»Oh Gott.« Führten sie diese Unterhaltung wirklich? »Ich hab den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen. Hörst du deine Mailbox nie ab?«
»Der Akku von meinem Handy ist leer. Ich vergesse immer, das blöde Ding aufzuladen.«
»Du hast wohl auf alles eine Antwort, was?«
»Und du eine Frage.«
Charley sah sich hilflos um. Welchen Sinn hatte es zu streiten? In einer Diskussion hatte ihr Bruder schon immer die Oberhand behalten. Außerdem war er hier, oder nicht? Und das hatte sie gewollt. (Man sollte vorsichtig sein, was man sich wünscht, dachte sie.) Und alles schien an seinem rechten
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