Die Katze
Notizblock am liebsten an den Kopf geworfen hätte. Zwei Schwestern , hatte sie eine Seite überschrieben, erzogen von denselben Eltern in derselben Umgebung, beide misshandelt und sexuell missbraucht. Eine wird zur fürsorglichen Betreuerin, die andere zur Mörderin.
Warum ?
Darauf hatte sie keine Antwort.
»Erinnerst du dich noch daran, wie ich als Baby war?«, fragte Charley jetzt ihre Mutter. »Und denk dir bitte nichts aus.«
»Das muss ich mir nicht ausdenken. Natürlich weiß ich noch, wie du als Baby warst. Du warst wundervoll«, sagte Elizabeth. »Vielleicht ein bisschen anstrengend, aber sehr süß und sehr neugierig. Und du hast dich genau nach Plan entwickelt.«
»Was war mit Emily und Anne?«
»Emily war eher eine Primadonna. Ein hinreißendes Kind natürlich, aber sie hat jede Nacht stundenlang geschrien, wie ein Uhrwerk, zwischen der sechsten Woche und dem dritten Monat. Dreimonatskoliken, stand in Dr. Spocks Säuglingsratgeber, wären das und dass sie genau sechs Wochen dauern würden.
Und er hatte recht. Danach beruhigte sie sich, obwohl sie nach Annes Geburt größere Anpassungsprobleme hatte als du. Das Sandwich-Kind-Syndrom, nehme ich an. Dabei war Anne das liebste Baby der Welt. Ein wahres Geschenk. Sie hat nie geschrien, nie Umstände gemacht. Immer ein Lächeln im Gesicht. Brauchte schon mit dreizehn Monaten keine Windeln mehr. Wirklich ziemlich bemerkenswert. Bram war natürlich das genaue Gegenteil«, fuhr sie fort. »Er hat ständig geschrien. Und es war egal, ob man ihn in den Arm genommen, hin und her gewiegt oder eine Spazierfahrt mit dem Wagen mit ihm gemacht hat. Er schrie permanent und schlug stundenlang seinen Kopf gegen die Stäbe des Gitterbettchens, wenn er nicht seinen Willen bekam. Einmal hat er sich auf diese Weise selbst bewusstlos geschlagen. Ich habe in ständiger Angst gelebt, dass er sich umbringen würde.« Sie seufzte. »So viel hat sich daran nicht geändert, wenn man es recht bedenkt.«
»Ich glaube, im Augenblick tut sich so allerhand«, erklärte Charley ihr.
»Wie kommst du darauf?«
Charley erzählte ihrer Mutter von ihrem Gespräch mit Emily.
»Deine Schwestern kommen hierher?« Tränen schimmerten in Elizabeths Augen.
»Der Termin steht noch nicht fest, aber es soll irgendwann in den nächsten Wochen stattfinden.«
»Und sie haben eingewilligt, mich zu treffen?«
»Ich dachte, wir könnten hier zusammen Abend essen«, wich Charley der Frage aus. »Bram kommt auch.«
Elizabeth sah aus, als stünde sie kurz vor einer Ohnmacht. Sie stützte sich an der Wand ab und weinte leise. »Das habe ich nie erwartet.«
»Wie war das noch mit dem Geheimnis des Glücks?«, fragte Charley rhetorisch und dachte, dass sie ihre Mutter wahrscheinlich umarmen sollte. Aber ihr Körper reagierte nicht auf
diesen Impuls. Seit Elizabeths Rückkehr mochten zwei Jahre vergangen sein, doch zwischen dem Platz, auf dem Charley saß, und dem Platz, auf dem ihre Mutter stand, spannte sich nach wie vor eine Kluft von zwei Jahrzehnten, zu weit, um sie einfach so zu überbrücken.
»Mommy!« James kam ins Zimmer gerannt und stürzte sich auf Charleys Schoß.
»Warum weint Grandma?«, fragte Franny, die neben ihrer Großmutter aufgetaucht war.
»Ich weine, weil ich so glücklich bin, eure Grandma zu sein«, sagte Elizabeth.
»Das ist dumm«, rief James. »Man weint doch nicht, wenn man glücklich ist.«
»Manchmal schon«, sagte Charley und versuchte, ihren Sohn lange genug still zu halten, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken.
»Grandma geht mit uns zu McDonald’s und ins Kino«, sagte Franny leicht besorgt, als fürchte sie, dass Charley etwas einwenden könnte.
»Kommst du auch mit?«, fragte James.
»Heute nicht, mein Liebling. Dieses Mal hat Grandma euch ganz für sich.«
»Ich hab meinen Superman-Schlafanzug eingepackt.«
»Dann kannst du bestimmt super schlafen.« Charley sah zu, wie ihr Sohn sich aus ihrem Schoß wand und an das Knie seiner Großmutter klammerte.
»Regnet es das ganze Wochenende?«, fragte Franny ihre Mutter, als wäre Charley in irgendeiner Weise für das unfreundliche Wetter verantwortlich.
»Ich glaube, morgen soll es aufklaren.«
»Und ich glaube, wir sollten aufbrechen, wenn wir nicht zu spät kommen wollen«, sagte Elizabeth.
Charley folgte ihrer Mutter und ihren Kindern zur Haustür, den Hund um den Hals wie einen Schal. »Siehst du. Es hat
schon aufgehört zu regnen«, erklärte sie Franny, die den grauen Himmel skeptisch
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