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Die Katzen von Ulthar: Und andere Erzählungen

Die Katzen von Ulthar: Und andere Erzählungen

Titel: Die Katzen von Ulthar: Und andere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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Jahre nicht gesehen hatte. Der Nachmittag war lange vorbei, als er den Fuß des Hügels erreichte, und bei der Kurve auf halber Höhe machte er halt, um die ausgebreitete Landschaft genau zu mustern, die in den schräg einfallenden, magischen Lichtfluten, die eine abendliche Sonne über sie goß, golden und glorreich unter ihm lag. Alle Fremdheit und Erwartungsspannung seiner jüngsten Träume schien in dieser stillen und unirdischen Landschaft gegenwärtig, und er dachte an die unbekannten Einsamkeiten anderer Planeten, während seine Augen die samtenen und verlassenen Rasengründe aufspürten, die zwischen ihren eingesunkenen Mauern wogend leuchteten, und die feenhaften Waldflecken, die sich von endlos in die Ferne laufenden Purpurhügelketten abhoben, und das geisterhaft bewaldete Tal, das sich im Schatten zu feuchten Senken hinabzog, wo rieselnde Wasser zwischen geschwollenen und verrenkten Wurzeln gurgelnd wehklagten.

    Irgend etwas vermittelte ihm das Gefühl, daß Motoren nicht in jenes Reich gehörten, wonach er suchte, und deshalb stellte er seinen Wagen am Waldsaum ab, steckte den großen Schlüssel in die Manteltasche und schritt den Hügel hinauf. Der Wald umringte ihn jetzt von allen Seiten, obgleich er wußte, daß das Haus auf einer hohen Kuppe erbaut war, die, außer auf der Nordseite, alle Baumwipfel überragte. Er fragte sich, wie es wohl aussehen würde, denn seit dem Tode seines sonderbaren Großonkels Christopher vor dreißig Jahren hatte es wegen seiner Nachlässigkeit leer und unbeaufsichtigt gestanden. In seiner Knabenzeit hatte er hier lange zu Besuch geweilt und in den Wäldern jenseits des Obstgartens unheimliche Wunder gefunden.

    Die Schatten fielen dichter um ihn, denn die Nacht nahte. Einmal öffnete sich rechts eine Lücke zwischen den Bäumen, und er schaute über meilenweite Zwielichtwiesen und entdeckte den Turm der alten Congregational-Kirche auf Central Hill in Kingsport; blaßrot im letzten Tagesschein, die Scheiben der kleinen, runden Fenster im reflektierten Licht glänzend. Dann, als er wieder in den tiefen Schatten stand, entsann er sich verblüfft, daß der flüchtige Anblick nur seiner kindlichen Erinnerung entsprungen sein konnte, denn die alte, weiße Kirche war schon lange niedergerissen worden, um dem Congregational-Krankenhaus Platz zu machen. Er hatte mit Interesse darüber gelesen, denn die Zeitung hatte irgendwelche befremdlichen Gruben oder Gänge erwähnt, auf die man in dem Felshügel unterhalb der Kirche gestoßen war.

    Eine Stimme durchbrach seine Verwunderung, und ihre Vertrautheit nach so langen Jahren verblüffte ihn abermals. Der alte Benijah Corey war Onkel Christophers Dienstbote und schon in jenen weitzurückliegenden Tagen seiner Jugendbesuche bejahrt gewesen. Er mußte jetzt weit über die hundert zählen, und doch konnte diese Stimme niemand anderem gehören. Er vermochte zwar keine Worte zu unterscheiden, doch der Tonfall war unverwechselbar. Daß der »alte Benijah« noch leben sollte!

    »Mister Randy! Mister Randy! Wo steckste denn? Wülste gar, daß deine Tante Marthy am End’ vor Angst noch tot umfällt? Hat se dir nich gesacht, daß de nachmittags nich von’s Haus weg sollst und vorm Dunkelwer’n wieder drinne zu erschein’ hast? Randy! Ran … die! .. . Das iss der hartnäckichste Bursche, der mir je untergekomm’ iss wenn’s drum geht, in’n Wald abzuhau’n; hockt den halben Tag wie mondsüchtich bei der Schlangngrube im Oberwald rum! … Heh, du. Ran … die!«

    Randolph Carter blieb in der Pechschwärze stehen und rieb sich mit der Hand über die Augen. Irgend etwas stimmte nicht. Er war irgendwo gewesen, wo er nicht hätte sein sollen; war an ganz weitentfernten Orten umhergestreift, wo er nicht hingehört hatte, und jetzt hatte er sich unentschuldbar verspätet. Er hatte nicht auf die Kirchturmuhr von Kingsport geachtet, obwohl er sie mit seinem Taschenteleskop leicht hätte erkennen können, doch er wußte, daß die Umstände seiner Verspätung sehr sonderbar und beispiellos waren. Er war sich nicht sicher, ob er das kleine Femrohr dabeihatte und steckte die Hand in seine Jackentasche, um nachzusehen.

    Nein, es war nicht da, aber da war der große Silberschlüssel, den er irgendwo in einem Kasten gefunden hatte. Onkel Chris hatte ihm etwas Seltsames von einem alten, ungeöffneten Kasten mit einem Schlüssel darin erzählt, aber Tante Martha hatte die Geschichte abrupt unterbrochen und gesagt, das wäre nun wirklich nichts, was

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