Die Katzen von Ulthar
schneeigen Gipfel des Aran kleiner und kleiner werden. Mittags gab es nur noch das sanfte Blau der Cerenäischen See und eine bemalte Galeere am Horizont, unterwegs zu den Gefilden von Serannian, wo sich die See dem Himmel vermählt.
Und die Nacht kam mit prächtigen Sternen, und das dunkle Schiff hielt Kurs auf den Himmelswagen und den Kleinen Bär, die langsam um den Pol schwangen. Und die Matrosen sangen sonderbare Lieder von unbekannten Orten, und sie stahlen sich einer nach dem anderen zum Vorderkastell davon, während die aufmerksamen Wachen alte Gesänge murmelten und über der Reling lehnten, um die Leuchtfische in Gärten unter dem Meer spielen zu sehen. Carter legte sich um Mitternacht zur Ruhe, und als er sich im Glühen eines jungen Morgens erhob, schien ihm die Sonne südlicher zu stehen als gewöhnlich. Und während des ganzen zweiten Tages lernte er die Männer des 54
Schiffes besser kennen, und brachte sie nach und nach dazu, von ihrem kalten, zwielichtigen Land, der exquisiten Onyxstadt und ihrer Angstvor den hohen, unbezwingbaren Gipfeln, hinter denen Leng liegen sollte, zu erzählen. Sie sagten ihm, wie traurig sie wären, daß im Lande Inquanok keine Katzen bleiben mochten, und daß ihrer Ansicht nach die heimliche Nähe von Leng Schuld daran trüge. Nur über die steinige Wüste im Norden wollten sie nicht reden.
Diese Wüste hätte etwas Beunruhigendes an sich und man hielte es für ratsam, ihre Existenz zu verleugnen.
An den folgenden Tagen sprachen sie über die Onyxbrüche, in denen Carter angeblich arbeiten wollte. Davon gäbe es viele, denn die ganze Stadt Inquanok sei aus Onyx erbaut, und außerdem tausche man in Rinar, Ogrothan und Celephais und im eigenen Land mit den Kaufleuten aus Thraa, Ilarnek und Kadatheron mächtige, polierte Onyxblöcke gegen die herrlichen Waren dieser sagenhaften Häfen. Und hoch im Norden, fast in der kalten Wüste, deren Existenz die Menschen aus Inquanok nicht zugeben mochten, läge ein unbenutzter Onyxbruch, größer als alle anderen, aus dem in vergessenen Zeiten so gewaltige Brocken und Blöcke herausgeschlagen worden waren, daß der Anblick der ausgemeißelten Löcher jeden mit Entsetzen erfülle. Wer diese unglaublichen Blöcke abgespalten hatte und wohin sie transportiert worden waren, könne kein Mensch sagen; doch erachte man es für das Klügste, diesen Onyxbruch, dem möglicherweise solch unmenschliche Erinnerungen anhafteten, in Ruhe zu lassen. Deshalb läge er ganz verlassen im Zwielicht, wo nur der Rabe und der geheimnisumwitterte Shantak−Vogel über seinen Ungeheuerlichkeiten brüteten. Als Carter von diesem Onyxbruch hörte, versank er in tiefe Nachdenklichkeit, denn er wußte aus alten Geschichten, daß das Schloß der Großen oben auf dem unbekannten Kadath aus Onyx ist.
Jeden Tag kreiste die Sonne nun tiefer am Himmel, und die Nebel oben verdichteten sich. Und nach zwei Wochen gab es gar kein Sonnenlicht mehr, nur noch ein unheimliches, graues Zwielicht, das bei Tage durch einen Dom ewiger Wolken schien, und eine kalte, sternlose Phosphoreszenz, die bei Nacht von der Unterseite dieser Wolken ausging. Am zwanzigsten Tag sichtete man aus der Ferne einen großen, zackigen Felsen, das erste Land, seit Arans schneeiger Gipfel hinter dem Schiff geschrumpft war. Carter fragte den Kapitän nach dem Namen des Felsens, bekam jedoch zur Antwort, daß er keinen besäße und niemals von einem Schiff angelaufen worden wäre, wegen der Geräusche, die des Nachts von ihm kämen. Und als sich nach Einbruch der Dunkelheit ein dumpfes, nicht enden wollendes Geheul von diesem schrundigen Felsen erhob, da war der Reisende froh, daß man nicht Station gemacht hatte, und daß der Felsen keinen Namen trug. Die Seeleute beteten und sangen, bis der Lärm nicht mehr zu hören war, und in den frühen Morgenstunden träumte Carter schreckliche Schachtelträume.
Zwei Morgen darauf zeichnete sich weit voraus und östlich eine Linie grauer Gipfel ab, deren Spitzen sich in den unveränderlichen Wolken dieser trüben Zwielichtwelt verloren. Und bei ihrem Anblick stimmten die Seeleute frohe Lieder an, und einige knieten auf Deck nieder um zu beten; da wußte Carter, daß sie nach dem Lande Inquanok gekommen waren und bald an den Basaltkais der großen Stadt vertäut liegen würden, die den Namen des Landes trug. Gegen Mittag tauchte ein dunkler Küstenstrich auf, und noch vor drei Uhr traten im 55
Norden die Zwiebelkuppeln und phantastischen Helmdächer der Onyxstadt
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