Die Kaufmannstochter von Lübeck
zurück. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie konnte nur hoffen, dass Emmerhart sie nicht gesehen hatte. Besser, dass Emmerhart nicht wusste, dass Johanna ihn bei diesem Treffen beobachtet hatte. An welchem Ränkespiel mochte Emmerhart sich da wohl gerade beteiligen? Oder war er vielleicht von Anfang an Teil eines feinen Gespinstes gewesen, das im Verborgenen gesponnen worden war? Aber wie passte es dann dazu, dass er ihr bei der Befreiung von Frederik so bereitwillig und entscheidend Hilfe geleistet hatte? Ich muss erst mehr herausfinden, ehe ich daran denke, etwas zu unternehmen, ging es ihr durch den Kopf. Aber immerhin wusste sie jetzt etwas mehr darüber, weswegen Herward von Ranneberg nach Lübeck gekommen war – und dass Emmerharts Verbindungen zu ihm offenbar weitaus enger waren, als sie bisher geglaubt hatte.
»Kann ich Euch helfen?«, fragte eine tiefe Stimme.
Sie gehörte einem der Wächter, die Dewald vom Horn angestellt hatte, um das Lagerhaus zu bewachen – aber natürlich auch, um dafür zu sorgen, dass das angebliche Einhorn nicht von ehrgeizigen Vertretern der Diebeszunft entwendet wurde. Schließlich war dieses Horn das allseits bekannte Zeichen für Dewalds Reichtum und Zahlungsfähigkeit.
»Nein, das glaube ich kaum«, sagte Johanna.
»Was sucht Ihr hier am Fenster?«
»Nichts.«
»Ich habe Euch schon irgendwann einmal gesehen.« Er musterte Johanna von oben bis unten. »Ihr seid eine vornehme Frau. Euer schlichter Mantel hat mich zunächst dazu verleitet, etwas anderes zu denken …«
»Ich werde mich auf den Weg machen.«
»Soll ich nichts ausrichten? Ihr seid sicherlich nicht ohne Grund hierhergekommen!«
Johanna ging zu ihrem Pferd. Der Wächter half ihr sogar in den Sattel. »Danke! Und lebt wohl«, sagte sie.
»Wollt Ihr nicht wenigstens Euren Namen sagen, sodass ich davon berichten kann, dass Ihr hier wart?«
Das fehlte gerade noch! »Ihr braucht niemandem etwas zu berichten«, sagte Johanna. Sie warf dem Wächter eine Münze zu, die sie in der Eile aus ihrem Beutel hervorholen konnte. Der Wächter fing die Münze sicher auf. Jetzt wird er sich erst recht an mich erinnern, dachte sie und drückte dem Pferd die Fersen in die Weichen. Das Tier preschte davon. Der Hufschlag klang hart auf dem Pflaster.
»Du solltest dich auf Schwierigkeiten einstellen«, sagte Johanna später zu ihrem Vater, nachdem sie ihm von dem Treffen im Gasthaus »Zum Einhorn« berichtet hatte.
Moritz von Dören machte ein sehr nachdenkliches Gesicht. »Du hast recht«, sagte er. »Aber was Emmerhart angeht …«
»… darfst du ihm nicht mehr trauen. Er wird dich früher oder später hintergehen, das steht fest. Und es wäre gut, wenn du darauf vorbereitet bist.«
»Welchen Grund sollte er dafür haben? Das ergibt doch alles keinen Sinn, Johanna. Sollte nicht gerade jemand wie du den Menschen etwas mehr trauen? Schließlich wolltest du dich doch als Nonne wie ein Schaf unter Wölfe begeben und auf das Wort des Herrn vertrauen! Jetzt bist du so misstrauisch, als wärst du seit Jahren an den Intrigen und Verschwörungen beteiligt, die im Rat an der Tagesordnung sind.«
Johanna lächelte mild. »Vielleicht habe ich mich der Weltlichkeit schon sehr viel mehr angeglichen, als es mir bis dahin selbst bewusst war.«
»Ja, das scheint in der Tat der Fall zu sein – ohne dass ich das auch nur im Mindesten kritisieren würde!«
Nein, es freut dich in Wahrheit, denn du erkennst darin die Fähigkeiten, die man braucht, um dir bei der Führung des Handelshauses von Dören zu helfen, erkannte Johanna. Und das war ja wohl immer dein Wunsch.
»Du solltest mit Brun Warendorp sprechen. Und wir müssen überlegen, was wir mit dem Marzipangeschäft tun.«
»Die Gefahr, dass Bruder Emmerhart dafür einen besseren Partner findet und mich im Stich lässt, dürfte gering sein, solange es keinen Profit abwirft …«
»Vater, ich weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat. Aber ich weiß, dass Herward von Ranneberg nicht umsonst hierher nach Lübeck gekommen ist. Und ich weiß auch, was ich vor dem Dom zu Köln gesehen habe, als Herward und Frederik sich wie alte Bekannte begegnet sind, und am nächsten Tag erhob Herward die furchtbarsten Anschuldigungen. Da hat irgendeine Spinne ein Netz gewoben, und wir sollten aufpassen, uns nicht darin zu verfangen.«
»Ich werde mit Brun Warendorp reden«, kündigte Moritz an. »Das mit Herward sollte er tatsächlich wissen. Es könnte sein, dass er zumindest Unruhe unter
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