Die Kaufmannstochter von Lübeck
Mann, der eigentlich vom Niederrhein stammte, aber behauptete, ein Venezianer zu ein, war diese Aufforderung wohl eine schwer zu ertragende Zumutung. »Vielleicht gibt es nicht genug reiche Leute in Lübeck«, sagte er.
»Sagt mir eine Stadt im Umkreis von zehn Tagesritten, in der es mehr Reiche gibt als hier!«
»Möglicherweise wird es besser, wenn man adelige Kunden aus dem Umland für diese Köstlichkeiten gewinnt.«
»Das war von Anfang an Bruder Emmerharts Plan!«
Meister Andrea nickte schwer. »Ja – aber die Spatzen pfeifen es doch von den Dächern, dass es Krieg geben wird! Jeder kann täglich die Hammerschläge in den Werften und Schmieden hören! Und alle Fürsten in der weiteren Umgebung werden überlegen müssen, ob und auf welcher Seite sie in den Kampf eingreifen werden.«
»Und deswegen bleibt Ihr auf Eurem Marzipan sitzen?«
»Die Gerüchte, dass es vor dem Schwarzen Tod schützt, haben sicher dazu geführt, dass der eine oder andere lübische Geizkragen doch den Weg in unsere Apotheke gefunden hat. Aber die Furcht vor dem Schwarzen Tod wird unser Geschäft auch nicht dauerhaft beflügeln – was in diesem Fall ja auch sehr gut ist. Außer den beiden toten Seeleuten, die an Bord der Walross waren, hat es nur noch einen Mann aus der Stadtwache und eine Hübschlerin gegeben, von denen man gehört hat, dass sie dem Schwarzen Tod erlegen sind. Wenn es neue Fälle gegeben hätte, dann hätte sich das doch längst herumgesprochen.«
In diesem Punkt musste Johanna ihm recht geben. Die Epidemie war noch nicht ausgebrochen. Der Schwarze Tod hatte Lübeck dieses Mal entweder nur einen sehr kurzen Schreckensbesuch abgestattet, oder er wartete nur noch auf den richtigen Moment, um den tödlichen Streich gegen die Stadt auszuführen.
Johanna betete jeden Tag dafür, dass die Seuche keine weiteren Opfer fand und der Herr die Menschen mit dieser Geißel verschonte.
»Ihr müsst diesem Geschäft noch Zeit geben, sich zu entwickeln«, beteuerte Meister Andrea nun. »Sagt dies Eurem Vater, der Euch sicherlich hierhergeschickt hat! Die Lübecker sind nun mal nicht so genusssüchtig und auf das Süße fixiert, wie es in anderen Gegenden der Fall sein mag.«
»Ich werde meinem Vater Eure Sicht der Dinge ausrichten«, erklärte Johanna. »Vielleicht könnt Ihr mir nun doch noch verraten, wo sich Bruder Emmerhart zurzeit aufhält – denn es gibt ein paar Dinge, die ich nur mit ihm persönlich besprechen kann.«
»Ich kann Euch leider nicht sagen, wo er ist – ganz gleich, wie oft Ihr mich auch fragen mögt, Johanna!«
»Dann richtet ihm meine Grüße aus und fragt ihn, ob nicht zur Abwechslung er etwas zu beichten hätte.«
»Das will ich gerne tun – auch wenn ich keine Ahnung habe, was Ihr mit dieser Bemerkung aussagen wollt.«
Johanna wandte sich zum Gehen und hatte die Tür schon fast erreicht, als Meister Andreas Stimme sie innehalten ließ. »Ihr seid Euch sicher, dass Ihr wirklich keine Löffelspitze meiner exquisiten Medizin mehr haben wollt?«
»Man sollte nicht allen Versuchungen nachgeben.«
»Aber es würde mir in der Seele wehtun, wenn etwas von diesem edlen Stoff verdürbe, nur weil allzu viele geizige Kleinkrämer in Lübeck wohnen! Es ist das Geld Eures Vaters und Eures Hauses, das die Zutaten bezahlte! Da habt Ihr auch den Genuss verdient, wie ich finde!«
Johanna drehte sich noch einmal um. Sie kam zurück und genoss einen weiteren Löffel voll der köstlich veredelten Marzipanmasse. »Eine Frage hätte ich noch an Euch, Meister Andrea.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Wurde Bruder Emmerhart von einem gewissen Herward von Ranneberg aus Köln besucht? Ich sah Herward mit seinem Gefolge diese Straße entlangreiten.«
»Ja, da war jemand, der wie die Leute aus Köln sprach. Ich war im Nebenraum und konnte nicht sehen, wer es war – aber einige Äußerungen des Entzückens waren nicht zu überhören, als er in den Genuss meiner Medizin kam.« Meister Andrea seufzte. »Gekauft hat er leider nichts, soweit ich das mitbekommen habe.« Der Marzipanmacher beugte sich über den Tisch und sprach in einem gedämpften Tonfall weiter. »Wenn Ihr diese Person sucht, dann solltet Ihr im Gasthof ›Zum Einhorn‹ nachsehen. Den hat Bruder Emmerhart ihm nämlich empfohlen!«
Johanna kannte die Herberge »Zum Einhorn«. Es war ein gehobenes Quartier, in dem Kaufleute aller Herren Länder untergebracht wurden. Manchmal auch Gesandte aus anderen Städten, wenn diese selbst für ihren Unterhalt
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