Die Kaufmannstochter von Lübeck
würde.
Als Johanna den Blick ihres Vaters bemerkte, wusste sie, dass auch er gerade diesen Gedanken hatte. Doch er sprach sie nicht darauf an, und so verging dieser Moment.
Vielleicht war es schon länger nicht mehr mein wahrer Wunsch, und ich habe mir das nur nicht eingestehen wollen, überlegte Johanna. Beinahe sollte ich Bruder Emmerhart dankbar für den Bruch des Beichtgeheimnisses sein – denn wer weiß, ob die Hochwürdige Frau Äbtissin dies sonst hätte so klar sehen können.
Johanna sah ihren Vater an. Jetzt musste alles auf den Tisch. Sie durfte nichts mehr zurückhalten, auch wenn sie ihrem Vater nun nicht gerade jede Einzelheit dessen, was sich in Köln ereignet hatte, unter die Nase reiben wollte. Aber er musste wissen, wie Bruder Emmerhart einzuschätzen war. Mochte ihr Vater dann die Konsequenzen daraus ziehen, die er für richtig hielt.
»Du solltest Emmerhart kein Vertrauen mehr schenken«, sagte Johanna. »Nach dem Gespräch mit der Hochwürdigen Frau Agathe wurde mir klar, dass er das Beichtgeheimnis gebrochen haben muss. Emmerhart hat mit Agathe über mich gesprochen, das steht für mich fest.«
Moritz von Dören runzelte die Stirn. »Was können das denn für furchtbare Sünden gewesen sein, dass Agathe daraufhin ausgerechnet dir, die doch alle Welt für eine Heilige hält, den Zugang zum Kloster versagt?«
»Nichts, wofür ich mich in Zukunft noch schämen werde«, antwortete sie. »Aber es zeigt, dass Emmerhart seine Pflichten als Priester nicht ernst nimmt und sich nach Gutdünken darüber hinwegsetzt. Was ist dann erst mit den Verpflichtungen, die er dem Haus von Dören gegenüber hat? Wir sollten nicht glauben, dass diese schwerer wiegen als jene, die er einst mit seiner Priesterweihe eingegangen ist!«
Moritz von Dören machte ein sehr nachdenkliches Gesicht, das sich zunehmend verfinsterte. »Ja, wir werden aufpassen müssen«, murmelte er. »Da scheinen sich Stürme anzukündigen!«
An einem der folgenden Tage suchte Johanna die Apotheke von Bruder Emmerhart auf, aber der Mönch war nicht im Haus. Stattdessen begrüßte sie Meister Andrea mit den Worten: »Ihr seid sicher gekommen, um die Qualität meiner Arbeit zu überprüfen.«
»Nein, das bin ich nicht«, gab Johanna etwas schroffer zurück, als sie beabsichtigt hatte.
Meister Andrea hob die Augenbrauen. »Nicht?«, wunderte er sich und wirkte etwas ratlos.
»Ich bin gekommen, um mit Bruder Emmerhart zu sprechen.«
»Nun, der ist in letzter Zeit viel unterwegs. Aber hier ist auch nicht viel zu tun, und daher …« Er sprach nicht weiter. »Und Ihr seid Euch ganz sicher, dass Ihr nicht doch etwas probieren wollt?«
Johanna lächelte. »Eine Versuchung, der man offenbar nur schwer widerstehen kann!«
»Das haben Versuchungen so an sich, werte Johanna.«
Meister Andrea holte einen der Tiegel, in denen die Marzipanmasse aufbewahrt wurde, füllte einen Löffel, den er aus einer der zahllosen Schubladen nahm, mit Marzipan und gab ihn Johanna. »Es ist eine neue Mischung, aber ich werde Euch nicht verraten, mit welchen Spezereien ich es verfeinert habe. Ich denke, so wie man auch ein Stück Fleisch ganz unterschiedlich zubereiten kann und ein simpler Laib Brot zu einer hustenlösenden Medizin wird, wenn man es mit reichlich Mohn verbacken hat, so lässt sich auch das Marzipan auf ganz verschiedene Weise präsentieren. Vielleicht sogar so verschieden, dass man kaum noch glauben kann, dieselbe Medizin zu schlucken!«
»Ich nehme an, Köstlichkeiten sind aber sämtliche Varianten, die Ihr im Sinn habt!«
»Oh, gewiss! Zumindest meinem bescheidenen Urteil nach. Aber ob das auch auf diese Mischung zutrifft, das solltet Ihr beurteilen, Johanna. Ich will da Eurem feinen Gaumen keineswegs vorgreifen …«
Johanna probierte den Löffel voll Marzipan. Sie war überrascht, welche Geschmacksnuancen da offenbar noch möglich waren. Deutlich war ein herber Zusatz herauszuschmecken, der sich aber auf vortreffliche Weise mit dem eigentlichen Stoff zu verbinden schien und dessen Geschmack auf eine zauberhafte Weise veredelte.
»Na, was sagt Ihr?«
»Es ist …«
»… eine Versuchung?«
»Und was für eine! Ich nehme an, man reißt Euch hier das Marzipan aus den Regalen!«
»Schön, wenn es nur so wäre.«
»Dann geht das Geschäft nicht gut?«
Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Marzipanmachers. »Man sollte die Lage nicht als übertrieben schlecht einschätzen …«
»Die Wahrheit, Meister Andrea!«
Für einen
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