Die Kaufmannstochter von Lübeck
Witterung zulässt, reite ich weiter nach Norden.«
»In Waldemars Lande?«, fragte Endreß lächelnd. Aber noch bevor Herward darauf antworten konnte, hob Endreß die Hand, sodass der Kölner augenblicklich innehielt. »Schweigt besser«, sagte Endreß dann. »Wer weiß, ob mich das Wissen um Eure nächsten Reiseziele nicht irgendwann einmal in Schwierigkeiten bringen könnte.«
A chtundzwanzigstes K apitel
Ein Sturm braut sich zusammen
Weihnachten und Neujahr gingen vorüber. Hier und da hörte man noch von vereinzelten Todesfällen, bei denen aber nicht sicher war, ob die Betreffenden – zumeist Bettler und arme Tagelöhner – wirklich dem Schwarzen Tod zum Opfer gefallen oder in den kalten Nächten erfroren waren. Dunkle Stellen auf der Haut konnten schließlich auch durch die Kälte verursacht werden.
Der Schwarze Tod schien die Stadt mit seiner scharfen Sense nur gestreift zu haben. Johanna und Grete besuchten zusammen mit ihrem Vater einen Dankgottesdienst in der St.Johannis-Kirche. Es war ein klarer, kalter Tag im neuen Jahr. Moritz ging es inzwischen wieder besser. Die Schwäche, die ihn nach der Köln-Reise für einige Zeit im Griff hatte, schien endgültig überwunden.
Während des Gottesdienstes bemerkte Johanna, dass Auke Carstens der Jüngere immer wieder zu ihnen herüberblickte. Er war der Sohn von Auke Carstens, dem Ältermann der Rigafahrer. Auke der Jüngere war Ende zwanzig. Ein breitschultriger, sehr kräftiger Mann, der seine Sitznachbarn in der Kirche um einen Kopf überragte, weshalb er einen freien Blick über die ganze Gemeinde hatte.
»Ich glaube, der meint dich«, flüsterte Johanna an ihre Schwester gewandt.
»Er hat nicht einmal den Anstand, mit seinen Annäherungsversuchen zu warten, bis etwas mehr Zeit vergangen ist«, flüsterte Grete, der das Verhalten des jüngeren Auke offenbar auch schon aufgefallen war. »Schließlich habe ich doch erst vor kurzem den Mann verloren, dem ich versprochen war.«
Sie sprach etwas zu laut, sodass sich einige andere Kirchenbesucher zu ihr umdrehten. Glücklicherweise wurde nun ein Lied angestimmt, und alle Anwesenden mussten sich zwangsläufig auf Melodie und Text konzentrieren.
Später, als sie mit ihrem Vater in der Mitte die Kirche verließen, wartete Auke bereits auf dem Vorplatz von St.Johannis.
»Ein ausnehmend schönes Kleid tragt Ihr heute«, wandte er sich an Grete, nachdem er zunächst Moritz begrüßt hatte. Johanna hingegen wurde plötzlich abgelenkt. Ein Angehöriger der Stadtwache suchte jemand in der Menge der Kirchgänger.
»Entschuldigt mich einen Augenblick«, sagte Johanna zu ihrem Vater und ihrer Schwester, die jedoch ganz damit beschäftigt war, dem eher derben Charme von Auke zu begegnen.
Johanna ging auf den Wächter namens Busso zu. Sie wusste, dass sie es war, nach der er suchte. Und das hatte einen ganz bestimmten Grund.
Als Busso sie schließlich entdeckte, kam er zu ihr. »Seid gegrüßt, Johanna von Dören«, sagte er höflich, aber sichtlich unsicher, wie er eine Frau aus höherem Stand anzusprechen und mit ihr umzugehen hatte.
»Ihr habt Neuigkeiten für mich?«, fragte Johanna.
Busso nickte. »Es war ja Euer Anliegen, dass ich Euch darüber informiere, wenn dieser Herward von Ranneberg aus Köln und sein zahlreiches Gefolge die Stadt verlassen.«
»Richtig.«
»Genau das haben sie jetzt getan. Sie sind zunächst nach Osten geritten. Einer meiner Leute hat Verwandte unter den Bauern dort, und denen ist der Trupp aufgefallen. Sie scheinen in einem weiten Bogen geritten zu sein, der nahelegt, dass ihr Ziel in Holstein liegt.«
Johanna atmete tief durch. »Das dachte ich mir.« Das öde Holstein war jedoch kaum das Ziel des Reitertrupps, das lag wohl sehr viel weiter nördlich – vielleicht am Hof von Waldemar in Roskilde.
Der Krieg hatte auf gewisse Weise schon begonnen, lange bevor ihn überhaupt jemand erklärt hatte.
Johanna gab Busso ein paar Münzen und bedankte sich.
Die Tatsache, dass Herward nicht mehr in der Stadt war, erleichterte sie einerseits. Aber es blieb ein schaler Nachgeschmack. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Herwards Besuch in Lübeck keine größere Bewandtnis gehabt hatte. Wahrscheinlich , fürchtete sie, haben wir die volle Boshaftigkeit seines Plans nur noch nicht erkannt .
Als sie zu ihrem Vater und ihrer Schwester zurückkehrte, war Auke inzwischen verschwunden. Offenbar erriet Moritz Johannas Gedanken, als diese sich suchend umschaute.
»Deine Schwester
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