Die Kaufmannstochter von Lübeck
aufkamen. Falls sie auf Einladung und Kosten des Rates in der Stadt waren, wurde ihnen zumeist ein preiswerteres Gasthaus zugewiesen.
Der Wirt hieß Dewald und genoss höchstes Ansehen in Lübeck. Er war auf Fahrten nach Bergen und Island reich geworden – und der Name seines Gasthauses leitete sich vom Horn ab, das in der Mitte des Schankraums von der Decke hing und angeblich von einem Narwal, diesem schwimmenden Einhorn der nördlichen See, stammte und von ungeheurem Wert war. Dewald hatte dieses Horn mehrfach als Sicherheit für einen Wechsel eingesetzt und damit seine Herberge ausgebaut. Böse Zungen wollten zwar wissen, dass es sich lediglich um einen besonders großen Walross-Zahn handelte, den Dewald nach einem Schiffbruch vor der Bergenküste gefunden und mitgenommen hatte. Aber das waren vielleicht nur Behauptungen von Neidern, die es nicht verwinden konnten, dass aus einem einfachen Koggen-Steuermann ein hochgeachteter und vermögender Bürger geworden war.
Johanna ritt umgehend zum »Einhorn«. Das Haus konnte es mit den Patrizierhäusern wie denen der Familie Warendorp oder von Dören durchaus aufnehmen. Einige Nebengebäude und Stallungen gehörten dazu, außerdem ein Lagerhaus, in dem Gäste ihre mitgebrachte Handelsware sicher unterbringen konnten. Dewald vom Horn, wie man den Wirt meistens nannte, hatte dazu eigens ein paar Veteranen der Stadtwache angeheuert, die dafür sorgten, dass es so schnell kein Dieb wagen würde, dort einzubrechen und sich an den aufbewahrten Gütern zu vergreifen.
Johanna stieg vom Pferd und machte es an einem Pflock fest. Aus dem Inneren des Hauses war lautes Stimmengewirr zu hören, und in den Stallungen schienen die Stallburschen und Knechte alle Hände voll zu tun zu haben. Es waren also offenbar viele Gäste in Dewalds Herberge. Johannas erster Gedanke war, einfach einzutreten und Dewald nach Herward von Ranneberg zu fragen. Aber das tat sie dann doch nicht. Stattdessen sah sie vorsichtig durch eines der verglasten Fenster. Sämtliche Fenster der unteren drei Geschosse waren auf venezianische Art verglast. Alabaster und Fensterläden schützten hingegen die Fenster des obersten Stockwerks und des Dachgeschosses. Aber dort wurden traditionell die Bediensteten untergebracht, die schon froh sein konnten, dass sie nicht im Stall schlafen mussten und deswegen wohl kaum höhere Ansprüche stellten oder sich gar beklagten.
Johanna sah einen Raum, in dem ein Kaminfeuer brannte. Ein halbes Schwein wurde an einem Spieß über den Flammen gedreht. Oben von der Decke hing an fein gearbeiteten Ketten das Einhorn als Wahrzeichen.
An einem mit Schnitzereien verzierten Tisch, wie er manchem Fürstenhaus gut angestanden hätte, saßen ungefähr ein Dutzend Männer und hoben die Bierkrüge. Sie waren offensichtlich guter Stimmung. Bruder Emmerhart und Herward von Ranneberg erkannte Johanna sofort. Aber noch interessanter waren die anderen Gäste, die an dieser Zusammenkunft teilnahmen. Vertreter angesehener Lübecker Familien waren darunter: Magnus Bredels vom Unterwerder, der so lange als Rivale von Moritz von Dören um das Amt des Ältermannes der Schonenfahrer gekämpft hatte. Neben ihm saß Auke Carstens, der zurzeit Ältermann der Rigafahrer-Bruderschaft war, deren Mitglieder den stärksten Widerstand gegen die Bündnispläne von Bürgermeister Warendorp boten. Außerdem Endreß Frixlin, ebenfalls ein Rigafahrer, der durch den Bernsteinhandel mit dem Ordensland reich geworden war und in Lübeck außerdem eine Herstellung für Rosenkränze betrieb, die von hier aus exklusiv in die südlicheren Reichsteile geliefert wurden, aber auch in die Lande des Dänenkönigs. Es war stadtbekannt, dass Endreß Frixlin von den Plänen des Bürgermeisters nicht begeistert war. Allerdings hatte er lieber andere sprechen lassen und sich als eine Art graue Eminenz der Opposition im Rat geriert.
In dieser Runde schien er jedoch umso mitteilsamer zu sein. Jedenfalls hörte Johanna ihn laute Reden führen, bei denen es aber offenkundig um profanere Dinge als die Stadtpolitik ging. Vielleicht trug der Genuss von zu viel Bier dazu bei, dass er ziemlich ungeniert die Vorzüge verschiedener Hübschlerinnen aufzählte. Dies wurde von Bruder Emmerhart durch ein für ihn vollkommen untypisches starkes Mienenspiel kommentiert, sodass man den Eindruck gewinnen musste, dass Emmerhart zu dieser Thematik auch einiges zu sagen gehabt hätte.
Als der Mönch in Richtung des Fensters sah, zuckte Johanna
Weitere Kostenlose Bücher