Die Kaufmannstochter von Lübeck
scheint es im Moment darauf abgesehen zu haben, jeden vielversprechenden Heiratskandidaten nach Möglichkeit zu vertreiben, so widerborstig und unfreundlich wie sie ist.«
»Ich bin nicht unfreundlich und auch nicht widerborstig«, widersprach Grete. »Aber die Tatsache, dass es mit der Heirat in das Haus van Brugsma nichts geworden ist, heißt ja nun nicht, dass ich jeden dahergelaufenen lübischen Kauffahrersohn nehmen muss!«
»Na ja, dahergelaufen ist wohl nicht der richtige Ausdruck«, widersprach Moritz. »Aukes Vater ist immerhin Ältermann der Rigafahrer und damit eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Stadt.«
»Aber Auke der Jüngere trinkt unmäßig, das ist stadtbekannt, Vater! Und wenn er jähzornig ist, neigt er zu Prügeleien! Du weißt, dass man ihn längst an den Pranger gestellt hätte, wäre er nicht der Sohn des großen Auke!«
Moritz zuckte mit den Schultern. »So viele Familien, die ähnlich erfolgreich ein Handelshaus betreiben, gibt es auch in Lübeck nicht – mag der jüngere Auke auch manchmal über die Stränge schlagen, aber er wäre zumindest noch standesgemäß …«
»Vater!«
»Nun, ich habe das Haus der van Brugsmas in Antwerpen ja nie gesehen«, begann Johanna dann. »Aber ich vermute mal, dass das Haus Carstens dagegen wie eine kleine Hütte wirkt.«
Grete hob das Kinn und erwiderte: »Ich wusste gar nicht, dass dir solche Äußerlichkeiten neuerdings so wichtig sind, Johanna. Mir sind sie es jedenfalls nicht.«
Ein klirrend kalter Februar folgte, in dem das Leben in Lübeck nahezu stillstand. Es war so kalt wie seit vielen Jahren nicht mehr. Selbst in den Werften kam die Arbeit für einige Zeit zum Erliegen, denn wann immer einer der Schiffbauer einen Nagel durch das Holz treiben wollte, lief er Gefahr, dass er ihm einfach abbrach, und das Holz selbst verzog sich mitunter so stark, dass es unmöglich war, mit dem Ausbau der Flotte fortzufahren.
Auf den Märkten der Stadt war das Angebot so karg wie schon lange nicht mehr. Aber es gab kaum etwas, was die Bauern noch hätten verkaufen können. Die Vorräte waren aufgebraucht, hier und da hatte man sogar schon das Saatgut verzehren müssen. Nur wenige reisende Kaufleute erreichten die Stadt, somit gelangten auch kaum Neuigkeiten von außerhalb nach Lübeck.
Auf eine weitere Nachricht von Frederik wagte Johanna gar nicht zu hoffen, zumal im Moment ohnehin kein Schiff mehr bis Helsingborg fuhr. Es war, als ob die sonst so geschäftige Stadt an der Trave in eine Winterstarre gefallen war. Lange Eiszapfen hingen jetzt von den Häusern, und das Pflaster war so glatt, dass sich niemand vor die Tür wagte, der dies nicht unbedingt tun musste.
Der Schwarze Tod war schon so gut wie vergessen. Vielleicht wollte man sich aber auch nicht daran erinnern, dass er jederzeit zurückkehren konnte.
Als schließlich der Frost nachließ und die Tage heller und wärmer wurden, kamen die ersten angeworbenen Söldner in die Stadt. Nicht jeder war froh darüber. Die Wirte hatten ein selten gutes Geschäft, die Hübschlerinnen ebenfalls. Aber manche Bürger störten sich zunehmend an dem Lärm, den Raufereien und einer vielfach zur Schau gestellten Verachtung gegenüber den Geboten der Fastenzeit. Viele Söldner gaben sich nicht mit Stockfisch zufrieden, sondern bestanden in aller Selbstverständlichkeit darauf, in den Wirtsstuben mit Fleisch versorgt zu werden, so wie es ihnen die Werber versprochen hatten. Je mehr Söldner in die Stadt kamen, desto gravierender drohten diese Probleme zu werden.
Schließlich wurde eine Ratssitzung zu dem Thema einberufen, und Moritz von Dören bat Johanna, ihn dorthin zu begleiten. Er sprach es nicht aus, aber der Grund dafür war wohl, dass er insgeheim befürchtete, die Schwäche, die ihn nach der Köln-Reise so heftig befallen hatte, könne urplötzlich wiederkehren. Und dann sollte jemand in der Nähe sein, dem er vertraute. Wichtiges zu protokollieren gab es auf dieser Ratssitzung voraussichtlich nicht, zumal dies auch von den Stadtschreibern erledigt wurde. Johanna sprach ihn nicht weiter darauf an, denn sie kannte ihren Vater gut genug, um die Wahrheit zu erahnen.
Die Ratsversammlung fand öffentlich statt. Brun Warendorp berichtete von den Fortschritten bei der Vergrößerung und Ausrüstung der Flotte und teilte auch mit, wie viele Söldner man inzwischen zusätzlich zu den Stadtwachen und Schutzmannschaften, deren Aufgabe es war, die Schiffe vor dem Zugriff von Piraten zu schützen, angeworben
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