Die Kaufmannstochter von Lübeck
Spur dieser Helfer führt hierher, nach Lübeck!«
Jetzt redeten alle durcheinander, und Johanna schlug das Herz bis zum Hals. So langsam offenbarte sich, welchen Plan Herward verfolgte.
»Hört mich weiter an, denn auch wenn die lübischen Ratsgesandten sich immer für eine Konföderation gegen Waldemar ausgesprochen haben, so scheint es doch selbst unter denen Verräter zu geben, die dieser Rat nach Köln sandte.«
»Das ist unerhört!«, meldete sich nun Moritz von Dören zu Wort. Er war kreidebleich geworden.
»Eure Tochter, Moritz von Dören, hat mit diesem Frederik in den Mauern des Doms Unzucht getrieben!«, setzte Herward nun hinzu.
Moritz öffnete zwar den Mund, konnte aber nichts sagen. Die Worte blieben ihm buchstäblich im Hals stecken.
»Sie ist dabei gesehen worden! Aber diese Dinge mag sie mit Gott, ihrem Herrn, ausmachen! Tatsache ist, dass sie ihm geholfen hat zu entfliehen, denn sie war es, die seine Waffen aufbewahrte, nachdem er in den Kerker geworfen wurde! Und genau mit diesen Waffen – darunter ein Schwert, dessen Knauf die Form des Wappentieres derer von Blekinge hat –, wurde er später in Helsingborg gesehen! Ich bin eigens in den Norden gereist, um einen Zeugen zu treffen, der in Helsingborg war und Frederik kennt. Dieser Zeuge, dessen Namen ich versprochen habe nicht zu nennen, hat sogar mit Frederik selbst geredet, der inzwischen übrigens auch von König Albrecht von Schweden als Verräter eingestuft wird!«
»Wart Ihr nicht in Wahrheit deswegen im Norden, weil Ihr selbst in den Diensten von Waldemar steht?«, rief ihm Johanna nun gegen alle Regeln und Gepflogenheiten, die in diesem Saal üblich waren, entgegen. »Seid Ihr nicht in aller Heimlichkeit aufgebrochen und habt sogar einen großen Umweg in Kauf genommen, nur um zu verbergen, dass Ihr in Richtung der holsteinischen Ödnis reiten wolltet?«
Für einige Augenblicke herrschte ein beklemmendes Schweigen. Bürgermeister Brun Warendorp hätte eigentlich eingreifen müssen, aber ihm war die Leitung dieser Versammlung ohnehin vollkommen entglitten. So geschickt er auch bei anderer Gelegenheit zu agieren pflegte – in diesem Fall war er wohl selbst wie vor den Kopf gestoßen und daher nicht in der Lage, die Situation in den Griff zu bekommen.
»Ich war im Norden, um diesen Zeugen zu sprechen«, widersprach Herward. »Und darüber hinaus gibt es noch einen Beweis dafür, dass Ihr, Johanna von Dören, mit dem Mörder des Pieter van Brugsma noch immer in Verbindung steht!«
Er zog ein Pergament unter dem Wams hervor und hielt es in die Höhe, während ein erneutes Raunen durch den Saal ging.
»Was kann er da vorbringen?«, fragte Moritz seine Tochter.
Johanna spürte einen Kloß im Hals. Sie ahnte etwas Schreckliches.
»Dies ist die Abschrift eines Briefes, den der Mörder an die Tochter des Ratsgesandten Moritz von Dören gerichtet hat! Er konnte abgefangen und kopiert werden, bevor er weitergeleitet wurde!« Mit höhnischem Unterton begann Herward nun, aus dem Brief vorzulesen, und sagte dann mit einem hässlichen Grinsen: »Zarte Gefühle scheinen hier im Spiel gewesen zu sein – aber offenbar auch Verrat!«
»Wie könnt Ihr so etwas behaupten!«, rief Johanna.
Doch in diesem Moment griff sich ihr Vater mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Brust und stöhnte auf.
»Vater!«, entfuhr es Johanna, die gerade noch verhindern konnte, dass er zu Boden schlug. Sie stützte ihn, und Magnus Bredels half ihr dabei – ausgerechnet er, der doch sonst immer Moritz’ Rivale gewesen war. Aber vielleicht würde ja das Amt des Ältermannes der Schonenfahrer nun sehr bald frei werden, sodass für ihn eine neue Möglichkeit bestand, sich darum zu bewerben.
»Einen Arzt!«, rief Johanna. »Holt Cornelius Medicus! Schnell!«
Man brachte Moritz von Dören mit dem zweispännigen Wagen des Bürgermeisters nach Hause. Der eiligst herbeigerufene Cornelius Medicus hatte noch im Wagen durch den Einsatz eines ätherischen Öls zu verhindern versucht, dass Moritz in die Bewusstlosigkeit hinüberdämmerte. Mehrere Männer, darunter sogar Bürgermeister Brun Warendorp selbst, trugen Moritz ins Haus und legten ihn in sein Bett. Cornelius Medicus wollte Moritz noch zur Ader lassen, aber dazu kam es nicht mehr. Das Herz des Ratsgesandten und weithin geachteten Lübecker Kaufmanns hatte aufgehört zu schlagen. Betretenes Schweigen herrschte, als Cornelius Medicus ihm die erstarrten Augen schloss. Johanna betete. Und sogar Grete, die inzwischen
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