Die Kaufmannstochter von Lübeck
»Hauptsache, Pieter dem Jüngeren ist nichts zugestoßen, und die Hochzeit kann wie geplant stattfinden.«
»Ihr habt nicht erwähnt, was es für eine Mission ist, auf die Pieter von seinem Vater geschickt wurde«, wandte sich Johanna später an ihren Vater, als sie gemeinsam vom »Großen Hahn« aus zu dem im Judenviertel gelegenen prachtvollen Rathaus der Stadt Köln unterwegs waren. Johanna nahm an, dass auch darüber etwas in der Nachricht gestanden hatte und ihr Vater es nur nicht in Gegenwart anderer hatte offenbaren wollen.
Moritz von Dören lächelte hintergründig, während er mit seiner Tochter einen kurzen Blick austauschte. Sie verstanden sich manchmal ohne Worte, und Johanna hatte einmal ein Gespräch zwischen ihrem Vater und Bruder Emmerhart mitbekommen, in dem Moritz bedauerte, dass Johanna erstens kein Sohn war und zweitens ein Leben im Kloster ins Auge gefasst hatte und sich davon auch anscheinend durch nichts abbringen lassen würde. Es gebe nämlich niemanden, mit dem er sich in geschäftlichen Dingen besser verständigen könnte als mit ihr, und es graue ihm schon vor dem Tag, da er auf diese Unterstützung würde verzichten müssen.
»Dein zukünftiger Schwager versucht, weitere potenzielle Verbündete ins Boot zu holen«, erklärte Moritz. »Wie du weißt, haben es bisher noch nicht einmal Bremen und Hamburg für nötig erachtet, ihre Ratssendboten nach Köln zu schicken, obwohl sie sonst immer unsere treuesten Verbündeten waren.«
»Wahrscheinlich denken sie, dass die freie Ostseeeinfahrt sie nicht betrifft.«
»Ja, bis Waldemar vielleicht eines Tages darüber nachdenkt, sich auch Holstein einzuverleiben, und die Dänen dann direkt vor den hamburgischen Toren stehen!« Moritz atmete tief durch. »Aber so weit denken diese Narren nicht. Oder diese Pfeffersäcke scheuen einfach nur das Risiko und fürchten, dass sie sehr tief in die Tasche greifen müssten, um Waldemar zu besiegen! Ich hoffe nur, dass es Pieter gelingt, noch ein paar niederländische Städte auf unsere Seite zu bekommen, sonst stehen wir mit dem Deutschen Orden und den Städten an der Ostsee allein da. Aber wenigstens haben die Schweden eine Delegation geschickt, wie mir unser Bürgermeister berichtet hat.«
»Ja, ich weiß«, sagte Johanna. »Ich habe gestern beim Gebet im Dom einen Mann getroffen, der so sprach.«
»Er gehörte sicher zu ihrer Delegation oder war sogar einer ihrer Sendboten. Wir werden vermutlich heute im Rathaus auf einige von ihnen treffen. Und auch wenn weder der König von Schweden noch die schwedischen Adeligen, die Waldemar aus Schonen und Blekinge verjagt hat, Verbündete sind, vor denen Waldemar zittern muss, brauchen wir im Moment jede Unterstützung.« Plötzlich hielt Moritz inne. Er sah seine Tochter fragend an, und auf seiner Stirn bildete sich eine tiefe Furche. »Was ist los, mein Kind, ist dir nicht gut?«
»Es ist alles in Ordnung«, behauptete Johanna.
»So habe ich dich nicht gesehen, seit …« Moritz von Dören sprach nicht weiter. Aber das brauchte er auch nicht. Johanna wusste genau, was er sagen wollte. Es erinnert ihn an damals, als mich die Pest befallen hat , wusste Johanna. Aber über diese Zeit sprach Moritz von Dören nicht. Niemals. All die Schrecken jener Tage waren in seinem Herzen eingeschlossen, und er schien zu fürchten, dass diese Dämonen der Vergangenheit ihn zerrissen, wenn er es je wagen sollte, sie noch einmal hervorkommen zu lassen. Der Tod seiner Frau hatte ihn mit unendlicher Trauer erfüllt und innerhalb kurzer Zeit stark altern lassen. Seine Haare waren in dieser Zeit grau geworden, und sein Gesicht hatte wie versteinert gewirkt.
»Vielleicht habe ich die letzte Mahlzeit bei unserem Wirt nicht vertragen«, sagte Johanna. »Das Bier, das er uns schon zum Frühstück einschenkt, hat einen eigenartigen Geschmack, und ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob es mir wirklich bekommt.«
S echstes K apitel
Auf dem Hansetag
Nach einem kurzen Weg erreichten Moritz von Dören und Johanna das Rathaus. Die Ratssendboten aus Danzig und Stralsund standen am Eingangsportal herum und unterhielten sich mit Brun Warendorp. Der Bürgermeister von Lübeck hörte sich geduldig an, was die anderen ihm zu sagen hatten, und nickte leicht. Aber Bruns Gesicht blieb unbewegt. Niemand hätte ahnen können, was in seinem Inneren vor sich ging.
»Gerade ihr in Lübeck solltet doch wissen, was es bedeutet, gegen Waldemar Krieg zu führen«, behauptete ein Mann, den Johanna
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