Die Kaufmannstochter von Lübeck
übermächtigen Wünschen wirbelte in ihrem Kopf. Für Augenblicke war sie vollkommen davon beherrscht. Jesus, Maria und alle Heiligen – helft mir, dass ich bei Verstand bleibe, durchfuhr es sie. Für einen Moment stellte sie sich vor, wie starke Arme sie umfingen, Hände ihre Haut berührten, und ein Schauder durchfuhr ihren ganzen Körper. Diesen Wünschen hast du unwiderruflich entsagt, musste Johanna sich ins Gedächtnis rufen. Wie konnte es sein, dass sie, obwohl sie doch so fest im Glauben war, dermaßen leicht zum Spielball solch bedrängenden Begehrens werden konnte? Hatte Gott ihr diesen Mann geschickt, um sie zu prüfen?
Vielleicht war es so.
Die Schweden näherten sich und wurden von den beisammenstehenden Ratsgesandten und Bürgermeistern freundlich begrüßt. Die Gruppe wurde durch einen beleibten Mann mit weißblondem Spitzbart angeführt, dessen Umhang selbst für den Herbst viel zu warm war. Es war nicht zu übersehen, dass er für ein viel weniger mildes Wetter eingekleidet war. Frederik von Blekinge übernahm es, ihn vorzustellen. »Dies ist Gustav Bjarnesson, der Gesandte Seiner Majestät, des Königs der Schweden«, erklärte er. Offenbar war Gustav Bjarnesson des Niederdeutschen nicht so ganz mächtig. Die Sprache der Hanse wurde zwar an den Küsten Skandinaviens gut verstanden, aber im Binnenland, wohin sich kein Händler aus Lübeck oder Danzig für gewöhnlich verirrte, sah das natürlich anders aus.
Gustav Bjarnesson schien die Aufmerksamkeit der anwesenden Ratssendboten sehr zu genießen. Ein Wichtigtuer, dachte Johanna. Wahrscheinlich ein Höfling, der sein ganzes Leben lang kaum mehr gesehen hatte als den Hof des Königs, dem er diente. Aber offenkundig besaß er das Vertrauen des schwedischen Königs, denn sonst hätte dieser Gustav Bjarnesson nicht mit einer Mission betraut, bei der es unter Umständen um die Existenz des Königreichs ging. Im letzten Krieg hatte Waldemar den Schweden nur den Süden ihres Landes weggenommen – aber es galt als offenes Geheimnis, dass er davon träumte, auch den Rest an sich zu bringen. Und wenn man sich jetzt an einer Koalition mit der Hanse beteiligte, dann könnte das ein willkommener Vorwand für Waldemar sein, diesen Plan zu vollenden.
»Es freut mich, Euch wiederzusehen, edle Dame«, wandte sich Frederik schließlich an Johanna.
»Ihr irrt Euch. Eine edle Dame bin ich keineswegs, und ich habe das auch nie vorgegeben«, erwiderte Johanna verlegen. »Wir sind freie Bürger und ehrbare Kaufleute, aber ohne Adel und Lehen.«
Frederik lächelte. »Ihr seid so ernst, Johanna. Muss man die Worte so auf die Goldwaage legen?«
»Meine Tochter hat vor, in absehbarer Zeit allem irdischen Gut zu entsagen und ins Kloster zu gehen«, mischte sich nun Moritz von Dören in das Gespräch ein. »Dort wird es dann keinen großen Unterschied mehr machen, woher man kommt und als was man geboren ist.«
»Vater, ich darf dir Frederik von Blekinge vorstellen – einen der Sendboten des schwedischen Königs. Wir trafen uns beim Gebet.« Und während sie dies sagte, trafen sich ihre Blicke erneut. Aber diesmal bot Johanna all ihre Willenskraft auf und wich seinem Blick schon nach einem kurzen Moment aus.
»Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen, Moritz von Dören«, sagte Frederik. »Meine Aufgabe hier in Köln ist gewiss nicht einmal halb so bedeutungsvoll wie die Eure. Ich bin zur Unterstützung von Gustav Bjarnesson hier. Meine Familie hat alte Beziehungen ins Rheinland.«
»So?«, fragte Moritz.
»Meine Mutter ist die Tochter eines Grafen von Berg, mit dem mein Großvater zusammen auf Kreuzzug gegen die Preußen ging.«
»So ist unsere Sprache also genau genommen Eure Muttersprache«, sagte Johanna.
Frederik sah sie auf eine Weise an, die sie unwillkürlich schlucken ließ, und nickte dann. »Ja, so könnte man es ausdrücken.«
Eine Glocke ertönte und hieß alle Anwesenden, sich im Langen Saal einzufinden. Der Beginn des Hansetages war mit einer Messe im Dom eröffnet worden. Aber Johanna, ihr Vater und Bürgermeister Brun Warendorp hatten diese Eröffnungsmesse verpasst. Weil das Zugseil einer Rheinfähre gerissen war, hatten sie anderthalb Tage in Deutz am Westufer des Rheins ausharren müssen, bis sie übersetzen konnten.
»Ein böses Omen, die Eingangsmesse zu versäumen«, hatte Johanna noch die finsteren Worte von Bruder Emmerhart im Ohr. »Ein wirklich böses Zeichen. Wir sollten auf Unheil aller Art gefasst sein.«
Während sie an der
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