Die Kaufmannstochter von Lübeck
erstaunlichen Selbstverständlichkeit. Die weltlichen Dinge schienen ihm sehr viel vertrauter zu sein, als man hätte erwarten können. An den Tischen herrschte ausgelassenes Stimmengewirr. Man prostete sich zu, lachte, hier und da hatten die Gespräche aber auch einen eher zänkischen Tonfall. Schrilles Frauenlachen stach manchmal aus diesem Geräuschchor heraus. Grell angemalte Huren gafften verwirrt auf Johanna und Grete, die schon an ihrer Kleidung als Frauen von Stand zu erkennen waren. Und normalerweise verirrten sich solche Frauen nicht an einen Ort wie diesen.
Einige der Gäste wiederum schienen die beiden jungen Frauen für Huren zu halten. Vielleicht hatten das viele Bier und der Wein, den sie in großen Mengen tranken, dafür gesorgt, dass ihre Sinne zu vernebelt waren, um zu erkennen, dass Kleider aus Brokat und Schmuck aus Gold und Silber nun wirklich nicht unter den Frauen üblich waren, die hier ansonsten ein- und ausgingen.
»He, habt ihr Hübschen denn keine Farbe, um euch herzurichten?«, dröhnte ein offenbar ziemlich betrunkener Gast und verschüttete bei dem Versuch, den nächsten Schluck hinunterzukippen, die Hälfte dessen, was noch in seinem Krug gewesen war, woraufhin am ganzen Tisch schallendes Gelächter ausbrach.
»Beachtet diesen Unsinn nicht«, wandte sich Moritz an seine beiden Töchter.
»Der Herr hat gehört, was dieser Mann gesagt hat«, gab Johanna zurück, und zwar so laut, dass der unhöfliche Zecher es auf jeden Fall mitbekommen musste.
Dieser wirkte nun ziemlich ernüchtert – einerseits wohl wegen Johannas klaren Worten, aber andererseits auch, weil er sich den halben Krug mit Wein über die Hose geschüttet hatte.
In einer hinteren Ecke fand Bruder Emmerhart schließlich den Mann, den er gesucht hatte.
Andrea Maldini, früher bekannt als Joop van Cleve, war klein und schmächtig. Sein Haar war so hellblond, dass es an Stroh erinnerte. »Seid gegrüßt, Meister Andrea!«, rief ihm Emmerhart überschwänglich zu.
Der Angesprochene kaute gerade an den letzten Resten eines Hähnchenschenkels herum. Mit der freien Hand hob er seinen Krug und prostete Emmerhart zu. »Auf Euch, Mönch! Denn ich hätte nicht geglaubt, dass Ihr mich tatsächlich noch einmal aufsucht.«
»Seid vorsichtig mit dem Zuprosten«, sagte Emmerhart. »Der Stadtrat hat es seit kurzem verboten.«
Andrea runzelte die Stirn. »Ich sehe hier niemanden, der sich daran halten würde!«
»So wie sich auch gewisse grell geschminkte Frauen nicht daran halten, ihrem Gewerbe ausschließlich im Haus eines zugelassenen kommunalen Frauenwirts nachzugehen, anstatt unschuldige Schankgäste zu belästigen«, erwiderte Emmerhart. »Und trotzdem kann man auch wegen des Verstoßes gegen ein Gesetz, das nicht beachtet wird, verhaftet werden, Meister Andrea! Und das wäre doch bedauerlich!«
Meister Andrea hörte zu kauen auf. Der Appetit schien ihm etwas verdorben zu sein. Er legte den halb abgenagten Schenkel auf den Teller. »Dagegen sollte der Rat Gesetze erlassen: gegen Fleisch, das so stark gewürzt ist, dass man nicht mehr schmecken kann, ob es noch gut ist.«
»Ihr seid noch nicht lange genug in der Stadt, um die emsige Arbeit des hiesigen Rates würdigen zu können«, sagte Emmerhart daraufhin. Er deutete auf seine Begleitung. »Dies ist Moritz von Dören aus Lübeck, Ältermann der Schonenfahrer und Herr eines wichtigen Handelshauses, mit seinen Töchtern Johanna und Grete, von denen Letztere in Kürze Pieter van Brugsma aus Antwerpen heiraten wird.«
»Oh, das hört sich nach wichtigen Leuten an«, sagte Meister Andrea. »So setzt Euch doch!«, beeilte er sich, noch hinzuzufügen, aber Emmerhart schüttelte den Kopf. »Das ist keine gute Idee.«
»Stimmt. Ihr seid ja wegen des süßen Heilmittels hier …«
»Hattet Ihr nicht versprochen, dass Ihr etwas von der Köstlichkeit bereitliegen hättet, wenn ich Euch das nächste Mal aufsuche?«, fragte Emmerhart.
»Ich habe mein Versprechen durchaus erfüllt und die Münzen, die Ihr mir gabt, dazu verwendet, die richtigen Zutaten zu besorgen«, versicherte Meister Andrea. »Die Herstellung selbst erwies sich als gar nicht so einfach, denn ich musste den Koch dieser zweifelhaften Schenke dafür bezahlen, dass er mir für einige Zeit die Herrschaft über seine Küche überließ.«
»Hauptsache, er hat nicht Eure Geheimnisse erfahren«, meinte Emmerhart.
»Keine Sorge, das hat er nicht. Ich war sehr vorsichtig. Und davon abgesehen hätte er einige wichtige
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