Die Kaufmannstochter von Lübeck
ihr war so groß, dass sie kaum einen klaren Gedanken zu fassen vermochte. Ich sollte darauf vertrauen, dass der Herr mir ein Zeichen schickt und mich lenkt, dachte sie.
Am Nachmittag, der jetzt ja unerwartet frei war, ging sie zusammen mit ihrem Vater, ihrer Schwester und Bruder Emmerhart zum Haus eines Kölner Bürgers namens Baltus Kernbrink. Kernbrink war ein guter Geschäftsfreund der von Dörens und besaß eines der größten und prächtigsten Patrizierhäuser in ganz Köln. Fast alle Fenster waren nach venezianischer Art verglast, und im Erdgeschoss gab es einen großen Festsaal, in dem regelmäßig festliche Bankette abgehalten wurden – nicht selten auch mit Armenspeisung, was Baltus einen guten Ruf als barmherziger Christenmensch verschafft hatte. Manche sagten ihm Ambitionen auf das Amt des Bürgermeisters nach, andere behaupteten wiederum, dass es ihm in Wahrheit nur darum ging, seinen florierenden Wollhandel weiter erblühen zu lassen, und er ein öffentliches Amt nur als kraft- und geldraubende Last empfunden hätte. Und wieder andere meinten, dass Baltus dies nur deswegen verbreitete, um sich eines Tages bitten zu lassen, doch die Führung des Rates zu übernehmen, dessen langjähriges Mitglied er ja bereits war.
Die Wahrheit darüber kannte wohl nur Baltus Kernbrink selbst. Dessen helles, rotbäckiges und mondrundes Gesicht wirkte zwar stets freundlich, aber es war unmöglich, aus seinen Zügen irgendetwas über seine Absichten herauszulesen. Im Festsaal von Baltus Kernbrink sollte die Hochzeit zwischen Grete von Dören und Pieter van Brugsma stattfinden. Und bereits jetzt waren dafür Vorbereitungen zu treffen.
»Ihr seht, dass dies der geeignete Ort für Eure Feier sein dürfte«, hörte Johanna ihn sagen, während ihre Gedanken immer wieder abschweiften.
»Fürwahr, Ihr scheint eine kleine Kathedrale aus Fachwerk Euer Eigen zu nennen«, gab Bruder Emmerhart seiner Bewunderung Ausdruck. Moritz von Dören hingegen lächelte nur, denn er war der Einzige, der diese Räumlichkeiten zuvor gesehen hatte. Mächtige Balken trugen die Decke. Tische standen bereit, mit Speisen gedeckt zu werden – und es war nicht zu befürchten, dass die Lichter und Kerzen durch Zugluft ausgeblasen wurden, denn die Glasscheiben hielten jeden unerwünschten Hauch fern. Diese Scheiben waren anscheinend der ganze Stolz von Baltus Kernbrink, denn er redete ausführlich darüber und berichtete, dass er eigens Handwerker aus Venezien habe anreisen lassen, um die Fenster fachgerecht einzusetzen.
»Das muss ein Vermögen gekostet haben«, meinte Moritz von Dören anerkennend.
Welch ein Prahlhans , dachte Johanna nur, während ihre Schwester Grete sich an dem prächtigen Raum erfreute und sich bereits in allen Einzelheiten vorstellte, wie die Feier vonstattengehen würde.
»Wir können nichts ins Grab mitnehmen«, sagte Baltus Kernbrink an Moritz gerichtet. »Warum sollte ich mein schwer verdientes Geld nicht für ein paar Fenster ausgeben? Und ich will Euch noch etwas sagen, werter Moritz: Meine Knochen tun mir bei weitem nicht mehr so weh, seit es kein Alabaster mehr in meinem Haus gibt. Ihr solltet Euch ansehen, mit welcher Sorgfalt das Erdpech von den Venezianern verteilt wurde, damit das Glas richtig hält!«
»Herrlich!«, entfuhr es Grete. »Aber ist eine Kapelle in der Nähe, wo die Trauung stattfinden könnte?«
»Zwei Straßen weiter«, erklärte Baltus. »Ich denke, die Kapelle wird für die Zahl Eurer Gäste ausreichen, und wie ich annehme, werdet Ihr auch kaum Wert darauf legen, dass allzu viel einfaches Volk bei der Zeremonie erscheint, das nur auf Eure Almosen aus ist!«
»Nein, natürlich nicht«, gab Grete etwas irritiert zurück.
Baltus lachte laut und durchdringend, dann bemerkte er Johannas eher ernsten, etwas abwesenden Blick, den er offenbar als Kritik missdeutete. »Ihr seid so ernst, Johanna? Habe ich etwas gesagt, was Euch erzürnt?«
»Sie beabsichtigt, ins Kloster zu gehen, und hatte schon immer etwas strengere Ansichten zu vielen Dingen«, antwortete Grete anstelle ihrer Schwester, noch bevor diese Gelegenheit hatte, auch nur ein Wort herauszubringen.
»Davon habe ich gehört«, meinte Baltus. »Aber auch Nonnen brauchen ja nicht unbedingt den ganzen Tag Trübsal zu blasen, findet Ihr nicht?«
»Ich finde, dass es die Pflicht jedes Christen ist, Almosen zu geben«, sagte Johanna, und ihr Blick drückte jetzt die ganze Kraft ihrer tief empfundenen Überzeugung aus.
»Nun, es ist
Weitere Kostenlose Bücher