Die Kaufmannstochter von Lübeck
zu den Ersten, die dort eintrafen, und so waren ihnen Sitzplätze sicher. Auch Gustav Bjarnesson, der Gesandte des schwedischen Königs, kam sehr zeitig – und mit ihm Frederik von Blekinge. Johanna warf einen verstohlenen Blick zu ihm hin und achtete sehr darauf, dass das nicht auffiel. Sie hatte ihre Tasche auf den Tisch gelegt und einige Pergamente herausgeholt, auf denen sie ihre letzten Aufzeichnungen niedergeschrieben hatte. Während sie so tat, als müsste sie diese ordnen, in Wahrheit mit ihren Gedanken aber ganz woanders war, beugte sich ihre Schwester zu ihr.
»Welcher von diesen Männern ist Frederik?«
»Nicht jetzt, Grete.«
»Du kannst es mir doch sagen.«
»Grete!«
»Ich wette, es ist der, der dauernd zu dir hinsieht und bei dem du den Eindruck vermeiden willst, dass du dasselbe tust, wann immer du dich unbeobachtet fühlst.«
»Was soll das, Grete? Ich habe den Vorschlag, dich mit in diese Versammlung zu nehmen, nicht gemacht, damit du über mich spottest.«
»Ich spotte nicht über dich. Das würde ich niemals wagen.«
»Dann sprich mich auf dieses Thema nicht mehr an.«
»Umso mehr entfachst du die Neugier in mir.«
»Und ich dachte, deine Neugier bezöge sich mehr auf die Frage, weshalb dein zukünftiger Gemahl nicht nach Köln zurückgekehrt ist und es offenbar auch nicht für nötig befunden hat, dir eine Nachricht zukommen zu lassen, dass er noch länger für seine Mission braucht.« Johanna zuckte mit den Schultern und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Aber wer weiß«, setzte sie dann noch hinzu, »vielleicht hat er es sich ja mit der Heirat noch einmal anders überlegt!«
Darauf wusste Grete nichts mehr zu sagen, und Johanna schämte sich ein wenig dafür, ihre Schwester auf so grobe Weise zum Schweigen gebracht zu haben. Aber sie hatte sich von ihr einfach zu sehr bedrängt gefühlt und das Bedürfnis gehabt, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Wenn du schon im Kloster wärst, müsstest du dafür jetzt sicher einige Rosenkränze beten, ging es ihr schuldbewusst durch den Kopf.
Nachdem sich der Lange Saal gefüllt hatte, eröffnete Mathias Overstolz schließlich die Versammlung.
Zusammen mit ihm hatte auch Herward von Ranneberg den Saal betreten. Für ihn war an diesem Tag sogar ein Platz in unmittelbarer Nähe der beiden Kölner Bürgermeister reserviert worden.
»Es gibt neue Kunde, auf die wir schon lange warten«, sagte Overstolz. »Und leider ist es keine gute.«
Während Johanna dem Bürgermeister zuhörte und ihr Blick auf Herward von Ranneberg gerichtet war, bemerkte sie im Hintergrund Pater Martinus vom Domkapitel. Er hatte keinen Sitzplatz bekommen und stand in der Nähe von Herward. Nun beugte er sich zu diesem nieder, und es sah aus, als würde der hagere Pater dem zurückgekehrten Gesandten etwas ins Ohr flüstern.
Herwards Gesicht wirkte angestrengt und war leicht gerötet, seine Züge schienen wie eingefroren. Er nickte zweimal heftig, während der sonst so zurückhaltende und auch in seiner Gestik sparsame Pater Martinus mit den Händen durch die Luft fuhr, wie Johanna es bei ihm zuvor noch nie gesehen hatte.
»Ich will den Worten unseres Freundes Herward nicht vorgreifen«, sagte Mathias Overstolz, als er sich endlich der ungeteilten Aufmerksamkeit aller sicher sein konnte. »Aber es soll hier jeder im Raum wissen, dass unser Gesandter Herward von Ranneberg aus einem traurigen Grund allein nach Köln zurückkehrte. Zusammen mit seinen Begleitern wurde er von Mördern überfallen, die vermutlich König Waldemar gedungen hat!« Ein Raunen ging durch den Raum. Der Bürgermeister stand nun auf und hob die Hände, um die Ruhe zumindest einigermaßen wiederherzustellen. »Pieter van Brugsma der Jüngere aus Antwerpen, vielen von uns als vertrauter Handelspartner und ehrbarer Kaufmann bekannt und vom Rat dieser Stadt immer wieder mit diplomatischen Missionen betraut, wurde feige erschlagen. Die Mörder wollten offenbar verhindern, dass die Nachricht über die Unterstützungszahlungen aus den niederländischen und flandrischen Städten diese Versammlung erreicht und sich daraufhin eine mächtige Koalition gegen Waldemar bildet!«
Es entstand größte Unruhe. Überall sprangen diejenigen Ratsgesandten, die einen Sitzplatz an der Tafel ergattert hatten, auf. Alle redeten und schrien durcheinander. Die Empörung war groß. Und Johanna sah, wie ihre Schwester vollkommen bleich wurde, und nahm Gretes Hand.
Etwas zu sagen war ohnehin sinnlos. Man hätte nicht
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