Die Kaufmannstochter von Lübeck
Gustav Bjarnesson und den gesamten Rest der Schweden gefangen setzt«, sagte nun Moritz. »Schließlich ist doch schwer vorstellbar, dass die gar nichts davon gewusst haben, dass sich einer von ihnen abgesetzt hat, um einen Gesandten der Hanse zu erschlagen … Vorausgesetzt natürlich, an diesen Anschuldigungen ist überhaupt etwas dran.«
»Gibt es daran denn noch einen Zweifel?«, fragte Bruder Emmerhart.
»Ich weiß jedenfalls, was ich am Abend zuvor gesehen habe«, mischte sich Johanna ein. »Das sind doch Anschuldigungen, die an den Haaren herbeigezogen sind!«
»Und welchen Grund sollte Herward von Ranneberg haben, sich so etwas auszudenken?«, fragte Emmerhart. »Er ist überall als Ehrenmann bekannt.«
»Wer weiß, vielleicht hat er selbst Pieter erschlagen.«
»Deine Anschuldigung ist nun aber mindestens ebenso haltlos«, gab Moritz von Dören zu bedenken.
Insgeheim musste Johanna ihm da recht geben. Aber andererseits – wer konnte schon wissen, was wirklich auf jener einsamen Aue passiert war, wo sich das Blutbad Herwards Angaben zufolge ereignet hatte.
Sie erreichten schließlich die Herberge. Zu dieser frühen Stunde war der Schankraum fast leer, und auch der Wirt hatte noch nicht mit der Rückkehr der lübischen Ratsgesandten gerechnet, von denen nur Brun Warendorp noch im Rathaus geblieben war, da Mathias Overstolz ihn zu einer kurzen Unterredung gebeten hatte. Schließlich stand durch die neue Entwicklung alles auf dem Spiel. Und wenn genau das die Absicht gewesen ist?, ging es Johanna durch den Kopf. Die Schweden als mögliche Bündnispartner zu verprellen – das hätte man doch nicht besser hinbekommen können als dadurch, dass man einen von ihnen einsperrt und des Verrates und Mordes anklagt!
Einen kurzen Moment nur dachte Johanna darüber nach, ob die Anschuldigungen nicht vielleicht auch der Wahrheit entsprechen könnten und sie sich im Hinblick auf Frederik entsetzlich getäuscht hatte. Schließlich kannte sie ihn ja nun noch nicht lange, und alles, was sie bisher zusammen erlebt hatten, war nichts weiter als ein einziger Rausch der Gefühle gewesen. Ein Rausch, der vielleicht auch ihre Urteilsfähigkeit etwas eingeschränkt hatte, wie sie sich selbst gegenüber zugestehen musste.
Aber diese Zweifel fegte Johanna schnell beiseite. So leicht täuschte sie sich nicht in einem Menschen! Davon war sie überzeugt.
Und abgesehen davon war da ja auch noch das Gespräch vor dem Dom, das sie mitbekommen hatte. Das vertraute Gespräch zweier Männer, die sich kannten und von denen keiner den anderen für einen gefährlichen Verbrecher hielt, der Reisende erschlug.
Hatte Herward von Ranneberg vielleicht irgendwelche Interessen, solche Lügen vorzubringen und einen Unschuldigen schwerster Verbrechen zu bezichtigen?
Die Wahrheit muss doch ans Licht zu bringen sein .
Grete hatte den ganzen Weg über geschwiegen und zwischendurch immer wieder geschluchzt. Da sich alle auf die Beschuldigungen Herward von Rannebergs konzentriert hatten, war Gretes Unglück völlig in den Hintergrund geraten.
Johanna hatte zwar versucht, ihre Schwester zu trösten, aber das war nicht so einfach, zumal sich Grete aus irgendeinem Grund anscheinend nicht ausgerechnet von Johanna trösten lassen wollte.
Als sie etwas später beide in ihrer Kammer im »Großen Hahn« waren, kam Grete mit der Sprache heraus. »Ich verstehe nicht, wie meine eigene Schwester dazu kommt, den Mann zu verteidigen, der offenbar meinen Verlobten erschlagen hat.« Sie deutete voller Abscheu auf das Schwert, das Bruder Emmerhart Johanna inzwischen wieder zurückgegeben hatte. »Du hast sogar die Waffen dieses Ungeheuers zur Aufbewahrung bekommen, und ich soll hier im selben Raum schlafen, in dem auch die Mordwaffe liegen wird, die meinen Pieter tötete!«
Grete weinte laut und barg ihr Gesicht in den Händen. Johanna wollte ihre Schwester in den Arm nehmen, aber Grete wehrte brüsk ab. »Weißt du eigentlich, was es mir bedeutet hätte, als Herrin van Brugsma nach Antwerpen zu gehen?«
»Ich hätte dir nichts so sehr gegönnt, als dass du dort glücklich geworden wärst, Grete!«
»Ja, das lässt sich jetzt leicht sagen! Und gerade von dir, denn du hast ja nichts verloren! Dein Lebenstraum ist nicht zerplatzt. Du kannst noch immer in dein Kloster gehen und deinem Herrgott dienen, wie du es dir vorgenommen hast, und nicht einmal unser ansonsten so herrischer Vater kann dagegen etwas ausrichten.«
»Grete, es ist furchtbar, was geschehen
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