Die Kaufmannstochter von Lübeck
ist, aber …«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie es in mir aussieht«, unterbrach ihre Schwester sie. »Wahrscheinlich werde ich mein ganzes Leben in Lübeck zubringen müssen, und wenn ich Glück habe, dann werde ich vielleicht noch die Frau irgendeines Stockfischhändlers. Oder Wolfgang Prebendonk ist doch nicht zu sehr beleidigt, weil er mit seinen Avancen hinter Pieter zurücktreten musste …«
Grete war wirklich sehr traurig. Aber Johanna fiel noch etwas anderes auf. Und der Gedanke, der ihr nun kam, war so schrecklich, dass sie beinahe zusammengezuckt wäre. Grete trauert weniger um ihren Verlobten als um ihr eigenes verpasstes Schicksal . Sie hat diesen Pieter offenbar nie geliebt, nicht einmal ein wenig. Sie wollte nur Herrin des Hauses van Brugsma werden und als eine der angesehensten Frauen Antwerpens daherstolzieren, ihren überbreiten Pelzkragen und ihren Schmuck präsentieren und sich allen, die von niederem Stand oder niederer Geburt sind, überlegen fühlen.
Johanna schluckte unwillkürlich.
Das Erschrecken über ihre eigenen Gedanken hielt einige Augenblicke an. Das, was Pieter und ihre Schwester miteinander verbunden hatte, waren gemeinsame Interessen gewesen. Ein Mann, der eine Ehefrau von Stand brauchte, die ihm Erben gebar und außerdem die Verbindung mit einem wichtigen Handelspartner festigte. Und eine Frau, die eine Herrin sein wollte – und mit mehr Macht ausgestattet, als wenn sie einen Emporkömmling wie Wolfgang Prebendonk, den braven und getreuen Schreiber ihres Vaters, erhört hätte.
Wie anders empfand Johanna demgegenüber die Gefühle, die sie mit Frederik von Blekinge verbanden. Auch wenn diese Empfindungen sehr plötzlich aufgeflammt waren wie ein verzehrendes Feuer, so schien ihr dieses Band trotzdem stärker zu sein als alles, was Grete und Pieter jemals miteinander verbunden haben mochte. Jetzt wurde es Johanna erstmalig bewusst, was für ein wertvoller Schatz ihr da in die Hände gefallen war: eine Liebe, die so empfindungsstark war, wie sie die meisten Menschen niemals erleben. Etwas so Seltenes konnte keine Versuchung sein, mit der Gott sie prüfen wollte. Es gibt keinen Grund, daran nicht mit aller Kraft festzuhalten, dachte Johanna. Vielleicht ist es keine Versuchung, die mich von meinem Weg abbringen soll, sondern eine einzigartige Gnade, die ich annehmen sollte.
Johanna verließ die Kammer, die sie mit Grete teilte, und ging zu ihrem Vater in den Schankraum; mit aller Kraft versuchte sie, ihn dazu zu überreden, sich für Frederik von Blekinge einzusetzen. »Dieses Unrecht kann man schließlich nicht einfach hinnehmen«, betonte sie.
»Im Moment können wir da nichts tun«, erwiderte Moritz von Dören jedoch. »Ich werde später mal mit Brun Warendorp sprechen, wenn er aus dem Rathaus zurückkehrt. Dann werde ich dir auch mehr zu den gegenwärtigen Entwicklungen sagen können.«
»Vielleicht sollte man sich darauf einstellen, dass eine Konföderation gegen Waldemar auf diesem Hansetag nicht zustande kommt«, mischte sich Bruder Emmerhart ein, der zusammen mit Moritz am Tisch saß und sich vom Wirt einen großen Krug Bier hatte bringen lassen, an dem er immer wieder nippte.
»Wir wollen nicht hoffen, dass wir völlig umsonst nach Köln gekommen sind«, gab Moritz zurück.
»Ich sage nur, wie ich die Lage einschätze – und dass man sich nach Möglichkeit immer mehrere Optionen offenhalten muss. Und vergesst eins nicht: Auch bei uns in Lübeck werden längst nicht alle begeistert sein, falls es doch noch zu einem entsprechenden Beschluss kommen sollte! Die Kosten eines Feldzugs gegen Waldemar treffen alle in der Stadt, und es werden aber nicht alle in gleicher Weise davon profitieren …«
»Man könne meinen, Ihr hättet mit fliegenden Fahnen die Seiten gewechselt, Emmerhart!«
»Ich bin immer auf Eurer Seite, Moritz«, versicherte der Mönch mit einem breiten Lächeln und fügte dann noch mit einem eigenartigen, schwer deutbaren Seitenblick auf Johanna hinzu: »Genau wie Eure gleichermaßen scharfzüngige wie schriftgelehrte Tochter, die sich so sehr für diesen Schweden einsetzt, dass man meinen könnte, er wäre ein sehr nahestehender Bekannter, wo wir doch alle wissen, dass das nicht der Fall sein kann.«
»Was wollt Ihr damit sagen, Emmerhart?«, fragte Moritz etwas irritiert.
»Ich möchte damit nur sagen, dass Ihr Euch nicht auf das Zustandekommen eines Bündnisses versteifen solltet, Moritz. Wir werden außerdem damit rechnen müssen, dass
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