Die Kaufmannstochter von Lübeck
die Durchfahrt durch den Öresund in den nächsten Jahren unter Waldemars Kontrolle bleibt.«
»Sodass er uns die Lebensader abdrücken kann, wann immer er will?« Moritz schüttelte den Kopf. »Niemals.«
»Nun, wenn man in dieser Lebensader, wie Ihr es nennt, den Blutfluss nicht erhalten kann, dann muss man sie abbinden und dafür sorgen, dass das Blut woanders seinen Weg nimmt.«
»Ihr redet in Rätseln, Emmerhart.«
»Und Ihr, Johanna?«, wandte sich Emmerhart nun an die junge Frau und sah sie auf eine irritierend direkte Weise an. »Begreift Ihr, worauf ich hinauswill?«
»Ihr denkt daran, dass man sich nach einer anderen Einnahmequelle umsehen sollte …«
»… die schon offen vor uns liegt.«
»Marzipan«, sagte Johanna.
»Wenn wir Meister Andrea überredet haben, mit uns nach Lübeck zu kommen, könnte seine Kunst der Grund dafür sein, dass zumindest wir, Euer Handelshaus und ich mit meiner Apotheke, uns weniger Sorgen darum machen müssen, ob der Stockfisch aus Bergen weiterhin über den Öresund und Lübeck geliefert werden kann oder vielleicht in Zukunft den Weg über die Nordsee nach Bremen oder Hamburg nimmt.«
»Es ist gewiss weise, für alle Fälle Vorsorge zu treffen«, stimmte Moritz stirnrunzelnd zu.
»Ganz meine Rede«, sagte Emmerhart.
»Und ich dachte immer, Ihr verlasst Euch in diesem Punkt in erster Linie auf die Macht des Herrn«, sagte Johanna und sah den Priester nun ebenso unverwandt an, wie er dies vorher bei ihr getan hatte. Emmerhart begegnete ihrem Blick, und wieder hatte Johanna ein sehr unbehagliches Gefühl. Es ist, als ob er mehr über mich weiß, als ich auch nur erahne , dachte sie.
A chtzehntes K apitel
Eine unvermeidliche Beichte
Johanna ging an diesem Tag früher zum Dom als an den Tagen zuvor. Ihre Gebete zu verrichten, das wollte sie sich auf keinen Fall nehmen lassen, ganz gleich, was auch immer geschehen mochte. Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb sie sich dorthin aufmachte. Sie sah sich in der Nähe des Domes vielmehr nach dem Zwerg um, denn der verwachsene Rumold konnte das friedliche Zusammentreffen von Frederik und Herward bezeugen. Schließlich hatte er auf Herwards Pferd aufgepasst und dafür einen für seine Verhältnisse gewiss recht stattlichen Lohn erhalten.
Als Johanna den Domplatz erreichte und sich umsah, stellte sie fest, dass auffallend wenige Bettler herumlungerten, und auch Rumold war nirgends zu sehen.
Seit ihrer Ankunft in Köln hatte sich Johanna annähernd täglich auf den Weg zum Dom gemacht, und die armen Gestalten, die darauf hofften, von den Pilgern ein paar Almosen zu empfangen, waren immer an ihren angestammten Plätzen anzutreffen gewesen. Wenn schon der Zwerg Rumold zurzeit nicht hier war, so hoffte Johanna, wenigstens die zahnlose Frau zu finden, die sie und Frederik so angestarrt hatte. Doch auch von ihr gab es keine Spur.
Die Bauarbeiten am Dom waren zu dieser Tageszeit noch voll im Gang. Und es war sehr verwunderlich, dass sich nicht mehr der Bettler eingefunden hatten, um sich zum Beispiel als Träger zu verdingen, da immer wieder Fuhrwerke mit Baumaterialien den Dom erreichten und plötzlich sehr viele Hände gebraucht wurden.
Johanna wandte sich einer kleinen Gruppe von zerlumpten Männern und Frauen zu, die um ein Feuer herumstanden. Ein paar Kinder waren auch dabei. Die hielten sich wohl vor allem dadurch warm, dass sie unablässig hintereinander herrannten. Ein Säugling ruhte währenddessen in den Armen seiner Mutter und hatte seinen Kopf auf deren Schulter gelegt.
Diese Menschen hatte Johanna hier zuvor noch nicht gesehen. Ihre Sprache war zwar verständlich, unterschied sich aber deutlich von der Art und Weise, wie sich die Leute in Köln unterhielten.
Landleute, dachte Johanna, Bauern, die ihrem Grundherrn entflohen waren und sich aufgemacht hatten, in der Stadt ihr Glück zu finden, wo es überall an Arbeitskräften fehlte, seit dort die Pest gewütet hatte.
»Ich suche Rumold den Zwerg«, sprach Johanna die Leute an, denn sie war sich sicher, dass der kleine, verwachsene Mann ihnen begegnet und aufgefallen sein musste. Zuerst schienen die Fremden Schwierigkeiten zu haben, Johanna zu verstehen. Der Dialekt, den sie sprach, unterschied sich doch ziemlich von dem Platt, das sich im Norden verbreitet hatte und von jedermann verstanden wurde – zumindest von jedermann, der Geschäfte machte. Aber die Sprache war weniger das Problem. Die Leute waren scheu und ängstlich, und vermutlich wollten sie
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