Die Kaufmannstochter von Lübeck
am Ende gar dem Henker übergibt!«
»Ich sprach soeben mit meinem guten Bekannten aus dem Domkapitel darüber«, sagte Emmerhart.
»Pater Martinus?«
»Ja, genau. Er schätzt die Lage so ein, dass das Urteil schon so gut wie gesprochen ist. Niemand wird an den Worten eines Herward von Ranneberg zweifeln. Dazu hat sein Name zu viel Gewicht hier in Köln.«
»Dann geht es gar nicht mehr um die Wahrheit?«
»Welche Wahrheit, mein Kind? Vermagst du in das Herz eines Menschen zu sehen? Kannst du beschwören, dass sich hinter dem charmanten Lächeln dieses Nordländers nicht die feige Hinterlist eines Mörders verbirgt, der bereit ist zu morden, wenn man seiner Familie dafür die Rückgabe ihrer Besitz- und Handelsrechte verspricht?«
»Das halte ich für undenkbar.«
»Ihr seid jung, Johanna. Ihr glaubt noch, dass die Dinge immer so sind, wie sie von außen scheinen. Aber das ist nicht der Fall, und nur der Herr allein vermag in die Herzen der Menschen zu sehen und zu erfassen, was sie wirklich in ihrem Innersten bewegt. Niemand sonst.« Emmerharts Lächeln wurde noch breiter. »Nicht einmal ich mit meiner unbestrittenermaßen etwas größeren Lebenserfahrung würde mir in diesem Fall eine Beurteilung zutrauen.«
Johanna schluckte. »Ich gebe zu, dass ich sehr verwirrt bin.«
»Weil Ihr für diesen Frederik mehr empfindet, als dass es Eure Urteilsfähigkeit unbeeinträchtigt lassen würde?«, fragte Emmerhart. »Weil Ihr vielleicht doch insgeheim davon träumt, Euer Leben in eine ganz andere Richtung verlaufen zu lassen, als Ihr es Euch bisher geschworen hattet? Oder war es schlicht und ergreifend das Begehren des Fleisches, das Euch überwältigt hat?«
Johanna erschrak. Wie kann er das wissen? , fragte sie sich sofort. Oder hatte er einfach nur auf Grund seiner Lebenserfahrung ihre Gedanken erraten, die vielleicht deutlicher in ihrem Gesicht zu lesen standen, als sie beabsichtigt hatte?
Und wenn Pater Martinus doch mehr von dem gesehen hat, was sich zwischen Frederik und mir in diesen heiligen Mauern ereignete?, ging es ihr durch den Kopf. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die beiden darüber gesprochen haben.
»Ich habe lange nicht mehr gebeichtet«, sagte Johanna.
»Ihr wisst, dass ich Euch dafür jederzeit zur Verfügung stehe.«
»Ja, und das weiß ich wohl zu schätzen.«
»Was hindert Euch dann daran, mir hier und jetzt zu sagen, was Euch beschwert, und den Herrn dafür um Vergebung zu bitten? Was auch immer es sein mag, die Gnade unseres Herrn ist uns gewiss.«
Johanna sah Emmerhart an. »Später will ich gerne beichten, aber jetzt fühle ich nur Verzweiflung und will das Unrecht aufhalten, das man einem geliebten Menschen antun will!«
Jetzt hatte sie es ausgesprochen. Und Emmerhart schien nicht einmal überrascht. Er nickte nur, und sein Blick ließ wieder einmal nichts von dem erkennen, was in seinem Inneren vor sich gehen mochte. Keine Anteilnahme, aber auch keine Missbilligung.
»Ich verstehe Euch besser, als Ihr glaubt, Johanna«, sagte Emmerhart. »Vielleicht habt Ihr einen Teil Eurer Beichte jetzt schon vorweggenommen. Es gibt kein Gelübde, das Ihr gebrochen habt, aber um zu beurteilen, ob Ihr für das, was Ihr getan habt, Vergebung erlangen könnt, muss ich mehr darüber wissen.«
»Ihr meint …«
»Ihr solltet beichten. Hier und jetzt – und ohne den kleinsten Vorbehalt. Sprecht leise, aber ich werde jedes Wort verstehen, und wenn Ihr die Vergebung erhalten habt, werdet Ihr wieder im Stande sein, klare Entscheidungen zu treffen. Glaubt mir.«
Er weiß es, dachte Johanna. Er weiß alles – woher auch immer. Und vielleicht hat er recht, und es ist wirklich das Beste, alles nach außen zu kehren, was sich an Schmutz in meiner Seele angesammelt hat.
»Also gut«, sagte sie. »Aber wollen wir nicht lieber …«
»Ein Beichtstuhl ist nicht unbedingt notwendig, Johanna. Nur ein Priester und eine verlorene Seele – und das Auge und Ohr Gottes, der alles sieht und hört und uns in unserem Innersten erkennt, da er uns geschaffen hat.«
Und so fing Johanna an zu beichten. Sie berichtete davon, wie sie Frederik zum ersten Mal begegnet war und welchen Zauber seine Erscheinung auf sie ausgelöst hatte. Als sie davon sprach, wie die pure Fleischeslust sie inmitten der Kirchenmauern überkommen und sie diesem unstillbaren Drang in einer Hemmungslosigkeit nachgegeben hatte, wie sie es sich zuvor nie hätte vorstellen können, war ihre Stimme nur ein ganz leises, kaum hörbares
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