Die Kaufmannstochter von Lübeck
daraufhin sehr finster. Sie bekreuzigte sich und sagte: »Der Herr möge dir deine Grausamkeit verzeihen. Ob ich das kann, weiß ich noch nicht.«
N eunzehntes K apitel
Schuld und Lüge
Bruder Emmerhart traf sich noch in derselben Nacht ein weiteres Mal mit Pater Martinus. Er suchte den hageren Priester in dessen bescheidenem Privatgemach auf, das sich in einem Gebäude in unmittelbarer Nähe zum Dom befand. Es war zwar schon weit nach Mitternacht, aber Martinus war immer noch wach. Bei Kerzenlicht saß er über einer seltenen lateinischen Handschrift, als Emmerhart an seiner Tür klopfte.
»Wer ist da?«
»Ich bin es: Emmerhart. Oder erwartet Ihr zu dieser Zeit noch anderen Besuch?«
»So kommt herein und macht nicht so einen Lärm.«
Emmerhart trat ein und schloss die Tür sorgfältig hinter sich. Dann setzte er sich zu Martinus an den Tisch.
»Wollt Ihr einen Krug Wein?«, fragte dieser.
»Nicht mehr um diese Zeit.«
Martinus schien da weniger Bedenken zu haben. Er nahm den Krug, der auf dem Tisch stand, und trank ausgiebig.
Emmerhart deutete auf den in Leder gebundenen Folianten auf dem Tisch. Die Buchstaben waren lateinisch und von sehr klarer, einfacher Form, ohne Schnörkel und Verzierungen.
»Lest Ihr wieder eine Schrift aus der Heidenzeit?«
»Mein Erkenntnisdrang ist nun mal unstillbar.«
Emmerhart lächelte auf seine besondere Weise. »Der Herr sieht alles, Pater Martinus. Ich hoffe, Ihr vergesst das nicht …«
»Der Herr vielleicht, aber glücklicherweise gilt das weder für den Erzbischof noch für den Papst.«
Beide Männer lachten kurz. Dann kam Emmerhart ohne weitere Umschweife zur Sache. »Wir haben ja schon ausführlich über die Angelegenheit mit dem Nordländer gesprochen.«
»Der Prozess wird kurz sein, so wie ich gehört habe. Alle Beteiligten sind sich einig, und wahrscheinlich ist es das Beste, wenn dieser Frederik von Blekinge möglichst bald seinen Kopf verliert.«
»Vielleicht wäre es noch besser, wenn ihm die Flucht gelänge.«
»Wie bitte?«
»Jeder würde das als Schuldeingeständnis werten, es würde niemand weitergehende Fragen stellen, wie es zu dem Überfall auf Pieter van Brugsma kam, und dieser Frederik hätte sicherlich keinen Grund, sich in Köln jemals wieder blicken zu lassen oder sich der Stadt auch nur auf tausend Meilen zu nähern.«
»Um ehrlich zu sein, habe ich über diese Möglichkeit auch schon nachgedacht, auch wenn ich nicht weiß, ob ich unseren Freund Herward davon zu überzeugen vermag.«
»Ich glaube, gerade Herward von Ranneberg sollte es zu schätzen wissen, wenn keine unnötigen Fragen aufkommen. Und die werden kommen, wenn bekannt wird, dass er die Bettler vom Domplatz weggelockt hat, die dort ihr angestammtes Revier haben.«
Martinus hob die Augenbrauen. »So, hat er das?«
»Ja.«
»Ihr seid anscheinend besser informiert als ich.«
»Was selten vorkommt.«
Die beiden Geistlichen lächelten hintergründig. Eine Pause entstand. Dann sagte Martinus plötzlich: »Herward ist ein Narr! Ich habe ihm dringend abgeraten, so etwas zu tun. Den Bettlern würde doch sowieso niemand glauben, gleichgültig, was sie gesehen haben. Es wäre nur das dumme Geschwätz von ein paar armen, verfluchten Seelen, die für einige wenige Münzen alles Mögliche erzählen würden. Aber so ist das natürlich etwas anderes.«
»Ich hätte da einen Vorschlag, Martinus.«
»Wie ich mir schon dachte.«
»Georg der Ehrlose könnte in diesem Plan sehr hilfreich sein.«
»Unser Frauenwirt und Henker?« Martinus wirkte im ersten Moment überrascht, aber dann veränderte sich sein Gesicht, auf dem das flackernde Kerzenlicht unruhige Schatten tanzen ließ. Er schien zu begreifen, worauf Bruder Emmerhart hinauswollte. »Ich habe Eure Durchtriebenheit wohl unterschätzt, Bruder Emmerhart.«
»Ich glaube, es ist besser, wenn Ihr zuerst mit Georg sprecht«, schlug Emmerhart vor.
»Damit Ihr Euch fein aus allem heraushalten könnt?«
Emmerhart schüttelte den Kopf. Dies mochte auch ein Grund für seinen Vorschlag gewesen sein, aber er durfte diesen Aspekt auf gar keinen Fall in den Vordergrund stellen. »Ihr seid von hier«, erklärte Emmerhart. »Deswegen wird er Euch mehr trauen als mir.«
»Obwohl Ihr so selten in Köln seid, scheint Ihr mir doch ein viel häufigerer Kunde im Haus des Ehrlosen Georg zu sein. Warum sollte er Euch also weniger trauen, da er Eure Zahlungskraft als verlässlich kennengelernt hat?«
Emmerharts Lächeln gefror nun zusehends. Er
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