Die Kaufmannstochter von Lübeck
konnte.
Johannas Herz schlug bis zum Hals. Herr im Himmel, mach, dass alles so vonstatten gegangen ist, wie Bruder Emmerhart es geplant hat, sandte sie ein stummes Stoßgebet zum Himmel.
Der Karren, der Reiter und die fußläufigen Begleiter kamen näher. Schließlich hielt der Karren an. Unter einem fleckigen Leinentuch schälte sich ein Mann hervor.
»Frederik«, brachte Johanna aufgeregt hervor.
Der Angesprochene sprang vom Karren herab. Mit schnellen, leichten Schritten lief er näher, sichtlich froh über seine neu gewonnene Freiheit.
Johanna kam auf ihn zu, und sie fielen sich in die Arme.
»Ich habe doch gesagt, dass du bald in Freiheit sein wirst.«
»Dann hast du den Henker zu seiner guten Tat ermuntert?«, fragte Frederik sichtlich verwirrt.
»Nicht ganz. Aber das ist eine lange Geschichte – zu lang, als dass ich sie jetzt ausführlich erzählen sollte!«
Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn. Dass sie dabei sowohl vom Scharfrichter und seinen Helfern als auch von Olaf beobachtet wurde, interessierte sie in diesem Moment nicht weiter. Es war ihr klar, dass dies vielleicht der Augenblick war, da sie sich zum letzten Mal sahen.
»Ich wünsche dir alles Gute, Frederik.«
»Johanna …«
»Man wird jetzt deine Schuld für erwiesen halten, also solltest du, so schnell du kannst, von hier fortreiten. Ich habe mich erkundigt. Du musst etwa zwei Tagereisen flussaufwärts reiten, dann kommst du an einen Ort, von dem aus du mit einer Flussfähre übersetzen kannst. Der Mann, der sie betreibt, heißt Jost von der Aue, und soweit ich gehört habe, bringt er ganze Ochsengespanne sicher über den Rhein. Er versteht sein Handwerk also.«
»Du scheinst an alles gedacht zu haben«, meinte Frederik überrascht.
»Ich habe die Reisekasse meines Vaters etwas erleichtert. Du wirst genug Silber in den Satteltaschen finden, um zumindest den Fährmann zu bezahlen. Wie es danach weitergeht, kann ich dir nicht sagen!«
Sie küsste ihn erneut.
»Ich kann es kaum fassen, was du für mich getan hast!«
»Und ich kann es noch immer kaum fassen, dich kennengelernt zu haben. Ich weiß, dass es alles in meinem Leben verändern wird. Nichts wird so sein wie vorher. Selbst wenn …«
»… du deinen Entschluss doch noch wahr machst und ins Kloster gehst?«
Sie nickte. »Ja.«
Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie versuchte zu lächeln, aber in dieses Lächeln mischte sich unübersehbar die Traurigkeit des Abschieds. Sie nahm seine Hand, hielt sie fest und sagte: »Du musst jetzt aufbrechen. Ich weiß nicht, wann deine Flucht entdeckt wird oder ob mich vielleicht jemand beobachtet hat.«
»Ich habe wohl eine Menge Vorsprung.«
»Und den wirst du brauchen!«
Er sah Johanna in die Augen und sagte dann sehr ernsthaft und entschlossen: »Wir werden uns wiedersehen, Johanna.«
»Das weiß nur Gott.«
» Ich weiß es.« Er lächelte. »Wenigstens hast du bei unserem Abschied nicht so förmlich zu mir gesprochen, wie du es sonst überwiegend getan hast. So bekomme ich zumindest nicht das Gefühl, eine Fremde zurückzulassen!«
Johanna versuchte, das Lächeln zu erwidern und die Tränen zu unterdrücken. Sie wollte etwas sagen, aber ihr Kopf war leer und ihre Zunge wie gelähmt. Sie konnte nur schlucken, und selbst das nur unter größten Mühen.
Frederik löste sich von ihr. Widerstrebend gab sie seine Hand frei.
Dann schwang er sich in den Sattel, sprach noch ein paar Worte seiner Heimatsprache mit Olaf und ließ das Pferd davonpreschen.
Die Männer des Scharfrichters hatten bereits damit angefangen, ein Loch zu graben, als Frederik noch einmal das Pferd zügelte und sich im Sattel umdrehte. Johanna winkte ihm zu.
Es wäre schön, wenn er recht behält – und wir uns tatsächlich eines Tages wiedersehen, dachte sie. Aber sie wagte kaum zu hoffen, dass dieser Wunsch sich irgendwann erfüllen würde.
Lange noch sah Johanna dem in den aufwallenden Nebeln verschwindenden Reiter nach, während bereits die Morgensonne als roter Fleck über dem Fluss stand und das Land in ein vollkommen unwirkliches Licht tauchte.
Georg der Ehrlose hatte den Abschied zwischen Johanna und Frederik interessiert beobachtet, während seine Männer mit ihrer gleichermaßen anstrengenden wie unappetitlichen Arbeit begonnen hatten. Der Scharfrichter war derweil die ganze Zeit über im Sattel sitzen geblieben. Sein Pferd schnaufte und atmete in der Morgenkühle. Der Blick, mit dem er Johanna musterte, löste in
Weitere Kostenlose Bücher