Die Kaufmannstochter von Lübeck
seine Tochter. »Jetzt wirst auch du anerkennen müssen, dass er schuldig ist.«
»Nein, Vater, da irrst du dich!«
Ihr Gespräch ging im allgemeinen Tumult unter.
Da ergriff Brun Warendorp lautstark das Wort. Seine Stimme drang mühelos durch den Lärm, und schon nach den ersten Worten kehrte Ruhe ein. Was der Vertreter der hanseatischen Vormacht zu sagen hatte, fanden offenbar die meisten Anwesenden so wichtig, dass sie ihm zuhören wollten, so sehr sie die Flucht des nun wohl überführten Mörders auch aufregen mochte.
»Hört, was ich der Versammlung zu sagen habe«, rief der Bürgermeister von Lübeck. »Es ist schlimm, was mit Pieter van Brugsma und seinen Begleitern geschehen ist, und es gibt niemanden in diesem Saal, der darüber nicht bis ins Mark erschüttert wäre. Und dass ein Mörder nun in Freiheit gelangt ist und der irdischen Gerechtigkeit vermutlich so schnell nicht zugeführt werden kann, mag ein Ärgernis für jeden rechtschaffenen Menschen sein, der zurzeit hier in Köln weilt. Aber darüber sollten wir nicht vergessen, dass uns das Geschehene zum Handeln gemahnen sollte!« Warendorp schwieg nun, im Saal war es vollkommen still. Der lübische Bürgermeister wusste sehr wohl, wie man Worte einsetzen und wirken lassen musste.
Warendorp ließ den Blick über die Versammelten schweifen und fuhr nach einer angemessenen, ehrfurchtgebietenden Pause mit Blick auf Gustav Bjarnesson fort: »Ihr habt mein besonderes Mitgefühl, werter Gustav Bjarnesson! Offenbar hat sich ein von Waldemar gedungener Verräter in Eure Reihen gemischt. Jemand, dem Waldemar, wie schon vermutet wurde, irgendwelche Versprechungen gemacht hat und der dann bereit war, dafür die schlimmsten und schändlichsten Taten zu begehen.«
Gustav Bjarnesson wirkte etwas ratlos, denn er verstand natürlich nicht ein einziges Wort.
»Dieser geflohene Mörder wird irgendwann vor seinen Schöpfer treten und spätestens dann die Strafe erhalten, die er verdient«, fuhr Warendorp unterdessen fort. »Das mag allen hier zumindest ein schwacher Trost sein. Wichtig aber ist, dass uns dies etwas über König Waldemar und seine Methoden lehrt! Er schreckt vor nichts zurück, nicht einmal davor, friedliche Gesandte ermorden zu lassen, die nichts anderes im Sinn hatten, als Verhandlungen zu führen. Er wird Ähnliches wieder tun. Er wird jeden auszuschalten versuchen, der seinen Eroberungsplänen im Weg ist! Und wenn wir nicht schnell handeln, dann wird er so stark werden, dass wir selbst dann nichts mehr gegen ihn tun können, wenn wir uns alle vereinen.« Brun Warendorp machte eine weit ausholende Geste. »Sollen wir etwa warten, bis es zu spät ist? Sollen wir warten, bis Waldemar sogar den Kaiser auf seine Seite gezogen hat – und vielleicht auch noch den einen oder anderen mächtigen Fürsten, der schon lange davon träumt, den Städten ihre Selbstständigkeit wieder fortzunehmen und sie unter die Knute des Landesherrn zu stellen! Nur gut achtzig Jahre – ein langes Menschenalter – ist es her, dass die Bürger Kölns sich in der Schlacht von Worringen die Freiheit von ihrem bischöflichen Fürsten blutig erkämpfen mussten! Soll dieses Blut denn umsonst vergossen worden sein? Soll das Gedenken an diesen Tag nur noch wie Hohn klingen, weil in dieser Versammlung niemand bereit ist, die Dinge zu tun, die notwendig sind, um die Freiheit zu erhalten?«
Jetzt kam wieder Gemurmel und Geraune auf. Es war unverkennbar, dass die Worte des Lübecker Bürgermeisters viele beeindruckt hatten.
Und auch diesmal ließ Brun Warendorp seine Worte zunächst einige Augenblicke wirken, ehe er weitersprach. »Waldemars Eroberungskrieg und die Erpressung am Öresund – das geht nicht nur Lübeck etwas an, sondern alle Städte, die sich vor langer Zeit zusammengeschlossen haben, um ihren Kaufleuten einen freien Handel zu ermöglichen. Auch kleine Städte, weit ab der Ostsee, deren Gesandte vielleicht denken, dass mit ihrem Silber Lübecks Söldner angeworben werden sollen, und die dazu nicht bereit sind. Aber diejenigen, die daran zweifeln, dass ein solches Bündnis geschlossen werden muss, sollten eines bedenken: Wenn es Waldemar gelänge, Lübeck niederzuzwingen, dann gäbe es kein Halten mehr. Und überall würden die Fürsten versuchen, sich die Städte wieder einzuverleiben – wie hungrige Wölfe, die den Geruch von blutigem Fleisch in der Nase haben.«
»Unerhört!«, rief Reginald Schreyer dazwischen – aber der Ratsgesandte aus Soest war mit
Weitere Kostenlose Bücher