Die Kaufmannstochter von Lübeck
Entscheidung
Im Langen Saal des Rathauses traf sich erneut die Versammlung der Ratsgesandten. Diesmal war es Heinrich von der Ehren, der die Zusammenkunft eröffnete. Die beiden Bürgermeister Kölns achteten peinlich genau darauf, dass sie gleichberechtigt in Erscheinung traten. Das war Johanna schon bei früheren Gelegenheiten aufgefallen. So hielt sich Mathias Overstolz diesmal mit Wortmeldungen auffällig zurück.
Heinrich von der Ehren las die Dokumente vor, die Herward von Ranneberg angeblich bei dem Überfall gerettet hatte. Die Unterstützungszusagen der niederländischen Städte waren darin zwar vollmundig formuliert, aber die vereinbarten Geldmittel waren sehr bescheiden. So bescheiden, dass immer wieder ein Raunen durch die Reihen der Versammelten ging.
Ein wirklich starker Rückhalt für den Kampf gegen Waldemar sah anders aus!
»Wir werden wohl den Großteil selbst tragen müssen«, hörte Johanna den Lübecker Bürgermeister Brun Warendorp an ihren Vater gerichtet sagen – laut genug, dass sicherlich auch andere diese Bemerkung mitgehört hatten. Bei einem gewieften Diplomaten wie Brun Warendorp konnte man annehmen, dass dies mit voller Absicht geschehen war. Er versuchte dadurch wohl, den kleineren, weit von der Ostsee entfernten Hansestädten die Sorge zu nehmen, sich in ein ruinöses Abenteuer stürzen zu müssen, das am Ende am meisten der lübischen Vormacht diente. Dieser Eindruck musste unter allen Umständen vermieden werden.
Johannas Blick wanderte unterdessen zu Herward von Ranneberg. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass Herward selbst etwas mit dem Überfall auf Pieter van Brugsma zu tun hatte.
Noch hatte man Frederiks Flucht wohl nicht bemerkt. Jedenfalls nahm Johanna an, dass sich diese Neuigkeit sofort wie ein Lauffeuer verbreitet hätte.
Es ärgerte sie jedoch, dass dieser Mann an der Tafel des Langen Saals saß, während Frederik wie ein Verbrecher aus der Stadt hatte flüchten müssen und froh sein durfte, wenn er rechtzeitig genug Meilen zwischen sich und die Stadtmauern von Köln legen würde, dass man seiner nicht mehr habhaft werden konnte.
Gerechtigkeit gibt es offenbar nicht auf Erden , dachte Johanna bitter. Aber niemand kann dem Jüngsten Gericht entgehen. Auch ein ach so bedeutender Mann wie Herward nicht!
Das war allerdings nur ein schwacher Trost.
Vielleicht würden die wahren Verantwortlichen für das schändliche Blutbad niemals zur Rechenschaft gezogen; dieser Gedanke gefiel Johanna ganz und gar nicht.
Gustav Bjarnesson meldete sich nun zu Wort. Er ließ sich von einem seiner Begleiter übersetzen und versicherte, dass der König von Schweden bereit sei, erhebliche Summen beizusteuern, falls man zu einem Bündnis gegen Waldemar von Dänemark käme.
Johanna bemerkte, dass sich ein Angehöriger der Stadtwache durch die Anwesenden hindurchdrängte. An seiner Livree war er sofort zu erkennen. Während Gustav Bjarnesson noch mit Hilfe eines nicht besonders wortgewandten Übersetzers sehr umständlich für das Bündnis warb, erreichte der Mann in Livree schließlich Bürgermeister Mathias Overstolz und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der wandte sich wiederum an Heinrich von der Ehren, und dieser erhob sich schließlich, um das Wort zu ergreifen. Dabei unterbrach er den Gesandten des schwedischen Königs einfach, zu wichtig schien die Neuigkeit, die er zu verkünden hatte.
»Mir ist gerade gemeldet worden, dass Frederik von Blekinge, der verdächtigt wird, Pieter van Brugsma erschlagen zu haben, aus dem städtischen Kerker fliehen konnte.«
Sofort brandete ein Stimmengewirr auf.
»Wie kann das geschehen sein!«, ereiferte sich Herward von Ranneberg. »Sind unsere Stadtwachen denn allesamt so übermäßige Weintrinker, dass man sich auf ihre Dienste nicht verlassen kann?«
»Ich versichere Euch, dass Frederik gut bewacht wurde«, erklärte Heinrich von der Ehren, dem der Schrecken allerdings ins Gesicht geschrieben stand.
»Jedenfalls wissen wir nun, dass er schuldig ist!«, rief Mathias Overstolz.
Johanna saß wie gelähmt da, während um sie herum ein Sturm der Entrüstung ausbrach. Etwas mehr Vorsprung hätte Johanna ihrem geliebten Frederik gerne gegönnt, und eigentlich hatte sie gehofft, dass sein Verschwinden zumindest einen Tag lang unentdeckt geblieben wäre. Aber diese Hoffnung war nun hinfällig.
»Wie konnte das passieren!«, entfuhr es Moritz von Dören. »Also bei uns in Lübeck hätte man einen Gefangenen besser bewacht!« Er wandte sich an
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