Die Keltennadel
jetzt von der äußersten Prüfung erzählen, der ich mich unterziehe.«
Er neigte zu einer geschraubten Sprechweise, an die sie sich jedoch gewöhnt hatte.
»In dieser Welt, in der alle Wünsche umgehend befriedigt werden, muss derjenige, der sich über die schmutzige Flut des Lebens zu erheben trachtet, fähig sein, sich zu bezähmen. Der Körper lässt sich zwar durch Fasten und Bußübungen unterwerfen, aber dennoch bleibe ich ein Opfer der sinnlichen Begierde, getrieben vom Verlangen nach körperlicher Vereinigung mit einer Frau, denn dieses – wie der Mönch Evagrius uns lehrt – ›befällt mit größerer Heftigkeit jene, die Enthaltsamkeit üben, weshalb du dich schulen musst wie ein gewandter Athlet, um ihm zu widerstehen‹.«
Dann erzählte er ihr von einer höfischen Liebestradition, bei der ein Ritter und seine unerreichbare, weil einem anderen versprochene Dame sich vor Verlangen brennend nebeneinander legten, getrennt von einem Schwert, das zum einen die Kluft symbolisierte, die zwischen ihnen herrschen musste, zum anderen die Gefahr, die ihrer Reinheit, ihrem Leben gar, drohte, sollten sie diese missachten.
»Das sind zwar nur Märchen«, sagte er, »aber richtig verstanden, kann das Schwert der Begierde eine mächtige Waffe im Kampf gegen unsere verderbte Natur sein. Kannst du mir folgen?«
Er sah Becca forschend an. Sonst führte er seine Bußübungen immer allein aus. Nun bat er sie, an einer teilzunehmen. Aber es hörte sich ein wenig lächerlich an. Sie wollte ihn allerdings nicht verärgern. »Das klingt nach einer äußerst raffinierten Anmache«, wich sie aus, »aber du weißt, ich habe nicht vor, dich zu verführen, das ist nicht mein –«
Er brachte sie mit einer Geste zum Schweigen. »Ich habe dich viele Dinge gelehrt und meinerseits viel aus deiner Aufmerksamkeit gelernt, aber du vergisst im Augenblick die Ehrerbietung, die wir uns schulden – das ist kein Kinderspiel hier.« Ein Aufblitzen von Zorn, ein Anflug jener düsteren Stimmung, bei der sich Becca vor Angst immer die Eingeweide zusammenzogen. »Du hast mich von den Erwählten sprechen hören und dass ihnen Sex und Ehe nicht bestimmt sind. Ich weiß, keine Frau ist weniger zügellos als du, ich habe es in deinen blassen Zügen gesehen, als wir uns kennen lernten. Aber du bist dennoch begehrenswert für mich. Und wenngleich Sonne und Mond nie vereint sein können, sind doch manchmal beide am Himmel zu sehen… und wie schön ist das.«
Sie ließ sich erweichen. »Was soll ich tun?«
»Wir werden von Zeit zu Zeit beisammen liegen. Du darfst mich mit deinem Fleisch in Versuchung führen, wenn du es wünschst, aber wenn wir reden, dann nur von geistigen Dingen.
›Augen können wegblicken von ihren Verlockungen, aber Ohren können ihre Worte nicht aussperren.‹ Und unsere Körper dürfen sich nicht berühren. Niemals.«
Becca hatte nur wenige, flüchtige Beziehungen gehabt. Sie empfand kaum Vergnügen an körperlicher Intimität mit Männern oder Frauen. Und sie glaubte, dass David auf seine Weise jene Überwindung des Verlangens anstrebte, die das Fundament des wahrhaft Geistigen ist. Er hatte auch ihren jüngsten Ausbruch von Kreativität angeregt.
»Ist das dein Ernst?«, fragte sie.
»Nie war mir etwas so ernst. Sind wir uns einig?«
Beim ersten Mal hätte sie beinahe losgelacht, als er mit einem weißen Gewand bekleidet in ihr Schlafzimmer kam. Es erinnerte sie an die Leinengewänder, die Priester bei der Messe unter dem farbigen Ornat tragen. Und er hatte ein weiteres über dem Arm hängen, das sie anziehen sollte. Aber mit ihrer Leichtfertigkeit war es vorbei, als sie sah, wie er ein Schwert in einer Bambusscheide unter der Robe hervorzog. Sie erkannte die orientalische Herkunft, nicht nur wegen der Scheide; als er es ihr zeigte, sah sie auch, dass das lange Heft lackiert und mit seidenen Troddeln verziert war.
Er zog das Schwert mit seiner leicht gekrümmten Klinge aus der Scheide und erklärte stolz: »Als Yeats 1920 zu Besuch in den Vereinigten Staaten war, schenkte ihm Seine Exzellenz Junzo Sato, der japanische Honorarkonsul, diese alte Samuraiwaffe. Sie soll zwischen uns liegen, um uns vor uns selbst zu schützen.« Er bat sie, das Gewand anzuziehen. »Und schau in deinem Kleiderschrank nach einem seidenen Halstuch«, fügte er an.
Auf den Rückweg vom Badezimmer wühlte sie in einer Schrankschublade und fand ein Halstuch. Wozu er das wohl brauchte – für irgend ein albernes Sexspiel? Nein, nicht
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