Die Keltennadel
ernster nehmen, als Sie es bisher tun?«
Taaffe versuchte in den Dialog zwischen Jane und Dempsey einzugreifen. »Das ist ein bisschen viel verlangt, Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass –«
Jane brachte ihn mit einem vernichtenden Blick zum Schweigen. »Ich stelle dem Inspector diese Fragen, weil ich die Angelegenheit möglichst logisch und vernünftig behandeln will.« Sie wandte sich wieder Dempsey zu und drängte auf eine Antwort. »Wenn es so wäre, wie ich sagte, würden Sie mich dann ernst nehmen, oder würden Sie ein Beweisstück übergehen, das Ihnen auf dem Silbertablett präsentiert wird?«
»Wenn Sie die Verwendung der Buchstaben auf den Füßen der Opfer mit einer Person in Verbindung bringen könnten, die hier und jetzt in diesem Land lebt, dann wäre ich daran mehr als interessiert«, sagte Dempsey, der ahnte, worauf sie zusteuerte.
»Den ersten Teil kann ich erfüllen, die zweite Hälfte Ihres Satzes ist vielleicht ironischer, als Sie beabsichtigt haben, Inspector. Jetzt halten Sie sich fest.«
Sie griff zur Fernbedienung ihrer Hifi-Anlage.
»Elf Minuten und sechs Sekunden nach dem letzten Stück auf Beccas CD, also sechshundertundsechsundsechzig Sekunden, 666, die Zahl des Tiers, gibt es eine versteckte Botschaft. Hier ist sie.«
Eine männliche Stimme dröhnte aus dem Lautsprecher; sie war so bearbeitet, dass sie unnatürlich tief und mächtig klang, und sie intonierte die Worte: »Demon est deus inversus.«
Es folgte ein langsam anschwellendes Summen, das schließlich zur beeindruckenden Klangfülle eines orthodoxen Männerchors wurde; darüber legte sich schnell lateinischer Sprechgesang und sofort darauf die Solostimme eines jüdischen Kantors, den sodann der Ruf eines Muezzins überlagerte, und diese ganze Kakophonie begann sich wirbelnd zu vermischen und wurde immer lauter. Dann stieg die Tonhöhe an, bis es wie ein Heer von Todesfeen und Geistern klang, die kreischend und klagend durch die Nacht ziehen, immer höher, als würden sie durch einen spitz zulaufenden Schornstein verschwinden, bis die beiden Polizisten nur noch einen einzigen hohen Schrei hörten, der ihnen durch Mark und Bein ging. Aber es ging noch höher, und schließlich war der Ton ein purer Schmerz, der wie ein Insektenstich an ihrem Trommelfell kratzte und fast bis über ihr Hörvermögen hinaus anstieg, aber immer noch wie eine Nadelspitze aus konzentriertem Lärm auf ihre Ohren wirkte… und dann verließ der Ton den wahrnehmbaren Bereich, und sie spürten mehr, als dass sie es hörten, wie er zu einer Reihe abgehackter Impulse zerfiel…
Dempsey dachte an Fledermäuse, die schreiend über den Fluss zogen. Dann hörte es auf.
Die beiden Detectives hatten die Hände an die Ohren gelegt und lösten sie gerade erleichtert, weil der Schmerz nachließ. In diesem Moment traf sie ein tiefer Ton wie eine Druckwelle, ein mächtiger Akkord stürzte herab, und darüber dröhnte erneut die Stimme los, triumphierend, jubelnd: »Demon est deus.«
Es war vorbei. Die beiden Detectives waren wie vom Donner gerührt, wegen des Lärms ebenso wie wegen des Inhalts dessen, was sie gehört hatten. Jane nahm zwei Wattebällchen aus den Ohren. Die Beamten sahen sie an wie eine Betrügerin.
»Einmal in voller Lautstärke hat mir gereicht. Es hat trotzdem noch ganz gut gewirkt. Und vorhin ist ein Glas zerbrochen.« Sie deutete zu dem Regal mit ihrer Sammlung, um die sie Tücher und Handtücher wie einen Schutzwall aus Sandsäkken gestopft hatte.
»Wer war das?«, fragte Dempsey.
»Ich glaube, das ist die Stimme des Mannes, der Sarah und Kara getötet hat. Er heißt David Edwards und ist Becca de Lacys spiritueller Berater oder Guru, wenn Sie so wollen. Denken Sie einmal an die Vision des Gorman . Eine Jungfrau in einer Kirche – Sarah Glennon. Eine Mutter mit Kind in einem Beinhaus – Kara McVey. Sie war im dritten Monat schwanger, und die ›Cryptology‹-Ausstellung kann man sicherlich als Beinhaus beschreiben. Möglicherweise hatte Edwards ursprünglich die Gruft in der Kirche St. Michan im Sinn, aber da er außerdem noch ein persönliches Motiv verfolgte, kam es ihm gelegen, dass er die Prophezeiung auch in der Galerie erfüllen konnte.«
Sie erzählte von Raymond O’Loughlins Bericht über seine Auseinandersetzung mit Edwards.
»Aber warum hat O’Loughlin zu uns nie ein Wort davon gesagt?«, Taaffe zweifelte noch immer.
»Sind Sie völlig verblödet, oder was?«, Jane hatte diesmal nicht die Absicht, ihn zu schonen.
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