Die Keltennadel
»Versetzen Sie sich doch einmal in seine Lage. Er hat seine Freundin und das Kind auf die denkbar grausamste Weise verloren. Seine ganze Prahlerei von wegen die Realität des menschlichen Inneren zeigen – was war die jetzt noch wert? Er stand seit der Tat unter Schock, er empfand Trauer, um nicht zu sagen Schuld. Dann muss er es sich gefallen lassen, dass ein Dummkopf wie Sie ihn verhört. Und da wundern Sie sich, dass er nicht an alles denkt? Hören Sie doch auf. Selbst heute Abend ist ihm noch nicht in den Sinn gekommen, dass es zwischen Edwards und dem, was Kara zugestoßen ist, einen Zusammenhang geben könnte. So unschuldig ist der arme Teufel nämlich – unschuldig wie ein Kind.«
Taaffe musterte verlegen seine Krawatte.
»Was ist mit Roberts und Mathers und den Hütern des Siebten Siegels?«, fragte Dempsey, den es nicht im Geringsten aus dem Tritt brachte, dass sein Kollege so zurechtgestutzt wurde.
»Vielleicht sind Roberts und Mathers ein und dieselbe Person«, entgegnete Jane.
Dempsey dachte einen Augenblick darüber nach. »Und wie passt Edwards da hinein?«
»Er ist ein weiteres Sektenmitglied. Von Roberts damit beauftragt, sich an eine prominente Persönlichkeit von internationalem Rang heranzumachen, mit dem Ziel, die Botschaft der Sekte auf breiter Front zu verkünden. Vergessen Sie nicht, sie waren ›missionarisch‹ tätig. Ich habe mit Beccas Tontechniker gesprochen und mit Leuten, die an der Produktion des Videos beteiligt waren. Edwards hat kräftig bei ihrem Projekt mitgemischt. Als Maulwurf für die Sekte.«
»Aber wie ist er an Becca herangekommen?«
»Wahrscheinlich ist sie ihm in den Staaten begegnet, zu einer Zeit, als es ihr an Ideen für ein Album mangelte. Vielleicht brauchte sie eine spirituelle Erfahrung. Er treibt sich in Randkreisen der Unterhaltungsbranche herum und wird Becca von Janet Klein vorgestellt, der Künstlerin, die ihre Plattencover entwirft und der sie vertraut. Er zieht sie in seinen Bann mit seinem Wissen über Yeats’ Lyrik und Anschauungen und weiß der Himmel was noch. Dann begeistert er sie für das Byzanzprojekt, weil er darin eine Gelegenheit sieht, die Überzeugungen seiner Sekte zu verbreiten. Becca mag sich ihrer Rolle als Trägerin seiner Botschaft bewusst sein oder auch nicht. Ich vermute, sie weiß es nicht, das dürfte ihnen lieber sein. Es ist so, wie jemand einen tödlichen Virus haben kann, ohne selbst davon angegriffen zu werden. Das heißt, sie kann ihre Sache weiter machen, ohne dass man sie mit Sekten in Verbindung bringt.«
»Lassen Sie uns noch einmal auf die Morde zurückkommen.« Dempsey war um eine klare Linie bemüht. »Edwards mochte ja mit O’Loughlin noch eine Rechnung zu begleichen haben, aber es gibt nichts, was ihn mit Lavelle verbindet. In diesem Fall war es Roberts, der das Rachemotiv hatte. Warum also nicht ihm den ersten Mord zuschreiben?«
»In diesem Fall hätten wir zwei Mörder, die ihre aus persönlichem Hass begangenen Taten jeweils mit religiösem Quatsch tarnen«, fügte Taaffe an, »Ich sage Ihnen, was ich denke.« Jane setzte sich, endlich überzeugt, dass man sie ernst nahm. »Roberts ist der oberste Chef dieser Sekte, der führende Kopf. Er hat Leute rekrutiert, die auf seiner Wellenlänge sind, hat ihnen die Prophezeiungen in der Vision des Gorman zu lesen gegeben, sie verehren Yeats als den Propheten eines neuen und gewalttätigen Zeitalters und so weiter. Nachdem sich Edwards bei Becca fest etabliert hat, bekommt er von Roberts den Auftrag, die Morde auszuführen, die den Prophezeiungen zufolge in Irland stattfinden. Das heißt, Roberts selbst muss überhaupt nicht hier sein. Edwards ist wunderbar getarnt, im Grunde kennt ihn niemand, und er kann sich überall frei bewegen. Roberts befiehlt ihm, Lavelles Pfarrkirche als Fundort für das erste Mordopfer auszuwählen. Um sich bei seinem einstigen Kollegen für den Vorfall im Seminar zu rächen. Und um ihn in eine Art rituelles Rätsel zu verwickeln, denn er weiß um Lavelles Tätigkeit im Kampf gegen Sekten. Aber letztendlich bestand sein Ziel auf der persönlichen Ebene darin, dass man Lavelle den Mord anlastete. Wie wir nun wissen, hatte er damit Erfolg. Eine rundum geglückte Rache. Danach beschließt Edwards, seinem Meister nachzueifern, indem er auch den nächsten Mord mit einem persönlichen Anliegen verbindet. Seinem eigenen.«
»Das klingt ganz einleuchtend«, sagte Dempsey. »Aber es gibt auch noch eine andere Möglichkeit – Edwards ist gleich
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