Die keltische Schwester
aus. Aber ich war auf der Hut. Wir würden freundlich am Kamin plaudern. Mit gebührendem Abstand zwischen uns. Vor allem, weil die zweite Weinflasche bereits angebrochen war und ich in diesem wohlig entspannten Zustand die gefährliche Neigung zum Lehnen an breite Schultern bekam.
»Wir haben uns weit von den Kelten entfernt, Lindis. Aber ich glaube, das macht nichts. Wenn du willst, können wir morgen oder an einem andern Tag darüber weitersprechen. Auf jeden Fall werden wir Morwenna besuchen. Sie kennt eine Unmenge alten Brauchtums, und wenn man die dünne christlicheTünche wegwischt, kommt vieles von den alten Geschichten hervor.«
Ich nickte geistesabwesend, und wahrscheinlich war es auf meinen leicht umnebelten Verstand zurückzuführen, dass ich mit der unvorsichtigen Frage herausplatzte: »Und was hat der Menhir mit all dem zu tun?«
»Nichts. Der Menhir ist ein alter Stein.«
Ich sah Robert an und wusste, dass er mir etwas verschwieg.
»Lindis, sieh mich nicht so zweifelnd an! Der Menhir ist wirklich nur ein alter Stein an seinem Platz.«
»Er hat nichts mit den Kelten zu tun?«
»Nein, er wurde von Menschen errichtet, die lange vor ihnen hier lebten. Und du gehst jetzt zu Bett.«
»Ja, ich werde nach Hause fahren.«
»Nach Hause ist weit. Und selbst ins Hotel wirst du nicht mehr fahren. Die Gendarme hier sind zwar nicht so sehr streng, aber du bist nicht mehr fahrtüchtig. Darum wirst du hier übernachten.«
»Bevormunde mich nicht schon wieder!«
Ich stand wütend auf und stolperte. Wie grässlich, dass er recht hatte.
»Stell dich nicht an. Ich habe dir schon geschrieben, dass es Zimmer genug gibt. Auf, da durch die Tür, und du bist in deinem eigenen Reich. Deine Tugend bleibt unangetastet. Außer, dich empört schon der Besuch eines dämonischen Katers.«
Robert machte ganz den Eindruck eines dämonischen Katers, aber das lag wohl an meiner verschobenen Sicht der Wirklichkeit. Ich ging durch die angewiesene Tür und befand mich in einem dunklen Raum. Robert machte Licht und erklärte: »Geradeaus ist das Bad, die Treppe hoch links das Zimmer mit Himmelbett, rechts das normale Schlafzimmer. Ich lege dir ein T-Shirt von mir über den Stuhl, das wird dir als Nachthemd reichen.«
»Wie früher, ja.«
»Wie früher, ja!«
Ich floh ins Badezimmer. Warum, dreimal verdammt, hatte ich das gesagt?
Knoten 1. und 2. Faden
Ich schlief fast sofort ein, der Rotwein war schwer gewesen.
Doch dann, geweckt durch ein leises Geräusch am Fenster, wachte ich mitten in der Nacht auf. Zuerst wusste ich nicht recht, wo ich war, dann aber erkannte ich durch das blasse Licht, das durch das kleine Fenster fiel, wieder die Umrisse der Möbel und die Holzbalken an der Decke. Ich war in einen Kokon von Decken und Laken gewickelt. Nie würde ich mich an die französische Gepflogenheit gewöhnen, nicht unter bezogenen Daunenkissen, sondern unter Wolldecken und Tüchern zu schlafen. Mühsam versuchte ich mich zu entwirren und meine Uhr vom Nachttisch zu angeln. Es war drei Uhr morgens, ich war hellwach.
Auf bloßen Füßen schlich ich über die knarrenden Holzdielen zum Fenster und sah hinaus. Dort war die Wiese, der alte Menhir, so unendlich vertraut, als würde er schon seit Jahren vor meinem Fenster stehen. Weiter vorne glänzte ein glattes Meer wie silbernes Metall. Am Horizont erhob sich ein halber Mond aus den Fluten, umgeben von einem Gefolge aus Tausenden von Sternen. Es war windstill und das Wasser glatt und bewegungslos. Wie schön das war!
Ich dachte an Robert. Nur wenige Meter von mir entfernt lag er schlafend in seinem Zimmer. Wie nahe, wie schrecklich nahe! So einfach wäre es, die Treppe hinunterzugehen und nebenan die Tür zu öffnen. Wie leicht, eine dumme Ausrede zu finden!
Und weggeschickt zu werden.
Nein.
Ich öffnete das Fenster und atmete die Nachtluft ein. Kühl und ein wenig salzig füllte sie meine Lungen. Ein leises Kratzen, ein Tappen von weichen Pfoten – der Dämon balancierte die Dachrinne entlang. Wie er hier hinaufgekommen war, konnte ich nicht raten, aber er war da, sah mich an und stolzierte dann, als ob es sein gutes Recht wäre, in mein Zimmer.
»Na, Dämon, eine gute Jagd gehabt?«
Natürlich ignorierte er mich. Aber die körperwarmen Decken schienen ihn anzuziehen. Er sprang auf meine Lagerstatt.
»So ganz toll finde ich das nicht, einen Kater im Bett zu haben.«
Seine Augen schienen zu fragen: »Wirklich nicht?«
Ich erwog, ihn mit Gewalt aus dem Bett zu jagen oder
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